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SF60 – Das Fenster zum Hof (Hitchcock-Reihe)

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Paula
Überbezahlter Superstar
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Daniel
Verkannter Regisseur


Rear Windows Ethics

Uns ist schon jetzt das Budget für 2016 ausgegangen, daher greifen wie in die 90er-Sitcom-Trickkiste und machen eine Clipshow. Wir blicken zurück auf das Jahr 2015 und voraus auf 2016. Aber natürlich besprechen wir auch einen Film: Hitchs Rear Window. Alles dreht sich dabei nicht bloß um die den voyeuristischen Abschied vom Mähnenwolf sondern auch um die Frage, ob wir eine neue Nummer 1 gefunden haben.

Vorgeplänkel

Paula zitiert Til Schweiger (frei) ♦ Bottle-Episode und Clipshow ♦ Wir werden uns dem Lebenswerk eines Regisseurs widmen und ihr könnt eine DVD von Night of the living Death gewinnen, wenn ihr wisst, welcher Regisseur das sein wird (Daniel hat das in den letzten Monaten immer mal wieder versteckt angeteasert) ♦ Außerdem dürft ihr abstimmen, welchen Film wir besprechen sollen ♦ Wir gedenken der Filmographie von David Bowie ♦ Paula beantwortete diese Frage ♦ Der Story-Arc des Mähnenwolfs ist abgeschlossen, 2016 hört ihr stattdessen etwas über die „Retter von New York“.

Die Eckdaten zu Rear Window

Erscheinungsjahr: 1954
Regie: Alfred Hitchcock
Drehbuch: John Michael Hayes
Bugdet: 1 Mio $
Besetzung: James Stewart (Jeff), Grace Kelly (Lisa), Raymond Burr (Thorwald), Thelma Ritter (Stella).
Genre: Thriller, Krimikomödie

Die Produktion von Das Fenster zum Hof

Das Drehbuch

Als Vorlage diente eine Kurzgeschichte von Cornell Woolrich (unter dem Pseudonym William Irish 1942 veröffentlicht). Zudem ergänzte Hitch diese Geschichte durch zwei reale Mordfälle: Zum einen die Idee, dass die Leiche zerhackt im Koffer davongetragen wurde; zum anderen das vermeintliche Alibi durch eine Afäre. Hitchcock und Drehbuchautor Hayes behielten von der Kurzgeschichte letztlich nur die Grundidee.

Das Casting

Ungewöhnlich für die Zeit war, dass James Stewart statt einer festen Gage einen Gewinnanteil bekam. Rear Window war ferner Grace Kellys zweiter Hitch nach Dial M For Murder. Die Rolle wurde ihr auf den Leib geschrieben. Hitch arrangierte, dass Kelly und Drehbuchautor John Michael Hayes Zeit zusammen verbringen, damit Hayes Kellys Charakter kennenlernt. Außerdem gibt es das Gerücht, dass Hitch Raymond Burr persönlich als den Mörder Thorwald gecastet hat. Angeblich soll es wegen der großen Ähnlichkeit zu Hitchs ehemaligen Produzenten David O. Selznick gewesen sein, dem Hitch eins auswischen wollte.

Die Kulisse

Der komplette Film wurde im Studio gedreht, dafür wurde der Hinterhof mit den 31 weiteren Wohnungen neben der von Jeff gebaut, zwölf Wohnungen waren vollständig eingerichtet. Es war das damals größte Set aller Zeiten.

The studio set is a copy of a real place, in Greenwich Village in New York. It is a precise copy of the environment, and takes precise note of the distance of the police station from the apartments, thus the police could have arrived there in about 5 minutes, as the film shows them doing.

Cinema Culture in Europe

Weil die Häuserfront zu hoch war für das Studio, ließ Hitch den Boden rausreißen. Der Hinterhof ist also eigentlich der Keller des Studios. Alle Wohnungen hatten Strom und fließend Wasser. Das Tageslicht wurde von einer Studiobeleuchtung simuliert. Es gab vier verschiedene Lichtarrangements für verschiedene Tages und Nachtzeiten. Das führte allerdings zu unerträglicher Hitze auf dem Set. Einmal wurde sogar die Sprinkleranlage ausgelöst, weil das Studio durch die vielen Scheinwerfer überhitzte.

Der Dreh

Hitch plante alles obsessiv durch, er schrieb am Drehbuch mit, er castete die wichtigsten Rollen und hatte zum Beispiel auch detaillierte Vorstellungen, wie die Kostüme von Grace Kelly aussehen sollten. Die extrem sorgfältige Planung führte dazu, dass Hitch später sagte, er habe den gesamten Film schon vor Drehbeginn im Kopf gehabt, sodass der eigentliche Dreh für ihn ziemlich langweilig war.

Hitch selbst hielt sich während des Drehs nur in Jeffs Apartment auf. Alle Schauspieler hatten Knöpfe im Ohr, über die sie Regieanweisungen bekamen. In der Szene, in der das Pärchen mit Matratze vom Balkon flüchten muss, weil es zu regnen anfängt gab Hitchcock ihnen extra widersprüchliche Regieanweisungen über Funk, damit sie sich stritten, was dann im Film zu sehen ist.

Filmisches Erzählen in Rear Window

Die erste und die letzte Szene

Youtube

In der erste Szene bekommen wir jede Menge Informationen von der Kamera bevor überhaupt der erste Dialog beginnt. Ein Paradebeispiel für eine gute erzählende Kamera. Zunächst bekommen wir einen Schwenk über den Hof, in dem wir alle Mini-Dramen eingeführt bekommen, die im Laufe des Films parallel zur Haupthandlung erzählt werden. Wir sehen das Thermometer und erfahren so, dass es sehr heiß ist. Wir sehen die Fotos in Jeffs Apartment und lernen so, dass er Fotograph ist und welche Art von Bilder er macht. Wir sehen das Bild des Autounfalls und die zerstörte Kamera, die uns darauf hinweisen, wie Jeff sich das Bein gebrochen hat. Wir sehen ein Negativ von Lisa, Jeffs Love-Interest, und bekommen so einen Hinweis auf Jeffs Einstellung in Bezug auf Lisa, außerdem wird uns ein Stapel Magazine mit Lisa auf dem Cover gezeigt, wodurch wir auch noch erfahren, welchen Job und Status Lisa hat. Und wir sehen den schwitzenden Jeff im Rollstuhl mit Gips, auf dem Lisa unterschrieben hat: „Here lie the broken bones of L. B. Jefferies“, wodurch wir auch noch einen Hinweis auf Lisas humorvollen Charakter bekommen. Das ist wirklich die ganz große Kunst des filmischen Erzählens!

Am Ende spiegelt Hitchcock dann diese Kamerafahrt:

Youtube

Im Hof sehen wir die Konklusion aller Minidramen, wir sehen wieder das Thermometer, das eine geringere Temperatur anzeigt, wir sehen Jeff nun mit zwei Gipsbeinen und Lisa in praktischer Kleidung (erstmals im Film trägt sie Hosen), die eine Abenteuerbuch liest, das sie dann aber, als sie merkt, dass Jeff schläft, gegen ein Magazin tauscht.

Each narrative is given it’s own closure: a new dog is introduced, Miss Lonely hearts is visiting with the songwriter, Miss Torso’s boyfriend comes home from the army, and Lars’ apartment is being painted over to get ready for new tenants. The final shot of the film shows the blinds of the rear window closing, hiding the cinematic world as the film draws to a close.

The Artifice

Reflexionen über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen

Hitchcock nutzt die angesprochenen Minidramen in den verschiedenen Hinterhoffenstern, um Statements über die Liebe und die Ehe zu machen. Von links nach rechts sehen wir:

  • Die Frischverheirateten: Symbol der noch jungen Liebe, die den ganzen Tag Sex haben. Am Ende ist dort aber der Alltag eingekehrt und sie streiten sich.
  • Miss Torso: Die heißbegehrte Single-Frau, die von unzähligen Männern umworben wird. Am Ende zeigt sich, dass sie ihrem Freund, einem Soldaten, treu geblieben ist.
  • Das Ehepaar, das auf dem Balkon schläft: Dies ist die normale, gut laufende, routinierte Beziehung.
  • Die Thorvalds stehen für die zerrüttete Ehe.
  • Miss Lonelyheart ist die alte Jungfer, die sich nach der Liebe sehnt, ohne sie zu finden.
  • Der Komponist schließlich ist der ewiger Junggeselle, der ein Workaholic ist, Partys schmeißt, doch am Ende die Liebe (Miss Lonelyheart) findet.

Starke Frauen, schwache Männer

Rear Window fällt auf eigentümliche Art und Weise aus den sonst sehr problematischen Frauenbildern bei Hitchcock heraus. Einerseits stecken durchaus Rollen-Klischees der 50er in diesem Film (Lisa will heiraten, Jeff nicht, Jeff ist der Abenteurer, den Lisa domestizieren will etc.). Außerdem gilt der Film als Paradebeispiel für Male Gaze, den männlichen Blick des Kinos: Wir sehen alles aus Jeffs Perspektive, der als Voyeur Frauen objektifiziert.

Auf der anderen Seite haben wir aber einen buchstäblich impotenten Helden. Durch seinen Gips bleibt Jeff während des ganzen Films passiv. Selbst im Showdown kann Jeff nicht aktiv werden sondern versucht den Villain durch Blitzlicht zu blenden und so zu verlangsamen. Damit schiebt er das Unvermeidliche aber nur hinaus. Auf der anderen Seite werden die beiden Frauen (Lisa und Stella) aktiv, sie übernehmen die Action. Stella und Lisa spionieren bei Thorvald und begeben sich in Gefahr und im Showdown wartet Jeff auf Lisa, die die Polizei holt. Allerdings bleibt Jef auch jederzeit derjenige, der die Fäden in der Hand hält und die Frauen rumschickt.

Voyeurismus

Jeff ist ein übler Voyeur, der den ganz Tag am Fenster hockt, um seine Nachbarn zu beobachten.  Hitchcock hält damit aber uns Zuschauer/innnen den Spiegel vor. Dies wird besonders in der Szene sichtbar, als Jeffs Freund von der Polizei ihm und Lisa erzählt, dass Thorvald kein Mörder ist. Hitch manipuliert uns hier, denn wir sind genau wie Jeff und Lisa enttäuscht, dass kein Mord stattgefunden hat. Später lässt er dann Lisa aussprechen (im „Rear Window Ethics“-Zitat zu hören), dass wir eigentlich pervers sind, dass wir wollen, dass Throvald seine Frau umgebracht hat.

Zentral ist hier die Szene in der die Balkon-Nachbarn herausfinden, dass ihr Hund umgebracht wurde und die Frau durch den Hof schreiend die Nachbarn anklagt, dass sich niemand emphatisch für die anderen interessiert. Dies ist eine klare Anklage auch gegen den Voyeur Jeff. Der später zum Beispiel den Suizid von Miss Lonelyheart in Kauf nimmt, weil ihn sein Kriminalfall mehr interessiert.

Filme über Wachung

Darüber hinaus ist Rear Window natürlich auch ein Überwachungsfilm und wir fragten uns, wie Überwachung inszeniert wird. Hitch kritisiert einerseits in Person von Stella die Überwachung durch Jeff, andererseits führt sie letztlich zum Erfolg. Darin zeigt sich das Überwachungsdilemma: Mittels Überwachung lassen sich Straftaten aufklären, zugleich gibt es viele unschuldige Opfer. So beglotzt Jeff den ganzen Tag Miss Torso, die in ihrer Unterwäsche in ihrer Wohnung umherläuft.

Allerdings wird hier durch Lisas Einbruch auch der Trope bedient, dass die Ermittlerin die Regeln oder Gesetze brechen muss für das größere Gut. Ein sehr klassisches aber auch sehr problematisches Erzählmuster.

Wie manipuliert uns Hitch?

Der Kuleshov-Effekt

Hitchcock arbeitet in Das Fenster zum Hof intensiv mit Reaction Shots. er zeigt uns immer Szenen auf dem Hof und dann anschließend das Gesicht von Jeff, das uns zeigt, wie wir die Szene zu interpretieren haben. Dabei wiederholt Hitch aber den Kuleshov-Effekt:

„The Russian film theorist [Kuleshov] noted how you could take a shot of an actor’s essentially blank face and, depending on what you intercut with it, change what the audience believes to be the emotion the actor is expressing.“

TCM

Wie effektiv Hitchcocks Montage war, zeigt eine Aussage von Jimmy Stuart. Stuart sagte in einem Interview, er könne sich gar nicht daran erinnern, den Charakter so gespielt zu haben.

High-Angle-Shot

In vielen Filmen benutzt Hitch genau einen High-Angle-Shot um eine zentrale Szene herauszustellen. In Das Fenster zum Hof setzt er ihn ein, als Jeff den Brief schreibt, in dem er Thorvald wissen lässt, dass er und Lisa von dem Mord wissen. Dieser Moment ist zentral, weil hier Jeff und Lisa nicht länger nur Beobachter sind, sondern sich erstmals aktiv ins Geschehen einmischen.

Treppen und Leitern

Hitch benutzt oft Treppen und Leitern, um von einer gefahrlosen in eine gefährliche Situation überzugehen. Die Treppe in Psycho oder das berühmte Treppenhaus aus Vertigo sind Beispiele. Hier steigt Lisa die Feuerleiter hoch, um in Thorvalds Wohnung einzubrechen.

The Emerging-Body-Shot

Hitchcock wählt seine Frames oft so, dass eine wichtige Information – oft eben eine Person –  zwischenzeitlich verborgen bleibt, um so Spannung aufzubauen. Hier benutzt er die Zwischenräume zwischen den Fenstern, um uns im Ungewissen zu lassen, was die Protagonisten dort tun, besonders natürlich in der Szene, als Lisa bei Thorvald eingebrochen ist.:

Hitch uses the walls between windows as anxiety-packed hiding places. Characters move from one window to the next, and when they disappear behind walls in the transitional space, we hold our breath to see if they emerge on the other side.

Jason Fraley

Hitchcocks Cameo

Youtube

Wir sehen Hitchcocks Cameo sehr früh im Film, als er in der Wohnung des Komponisten eine Uhr einstellt. Zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere war das Hitchcock-Cameo schon so berühmt, dass er es immer bewusst an den Anfang seiner Filme packte, sodass die Zuschauer nicht länger darauf warten mussten, sondern sich auf den Film konzentrieren konnten.

Das Interessante ist, dass Hitch uns vermeintlich anguckt und später gespiegelt wird durch die Szene, in der Thorvald Jeff enttarnt, ihn und damit auch uns direkt anblickt. Die vierte Wand wird durchbrochen, um uns als Voyeure zu entlarven.

Der Ton in Das Fenster zum Hof

In Rear Window wird nur diegetischer Ton verwendet: Abgesehen vom Intro und Outro gibt es nur Ton, der seinen Ursprung in der filmischen Welt hat. Dennoch hat der Film Filmmusik, die dann aber immer eine Quelle im Hof hat. Allem voran ist diese Quelle der Komponist, der das Hauptthema „Lisa’s Theme“ im Laufe des Film komponiert und gerade in dem Moment, in dem Lisa bei Thorvald einbricht, um ihn zu überführen, stellt er es fertig. Der Moment, in dem Lisas Metamorphose zur Abenteurerin vollendet ist. Zugleich hält das Lied in einer der Nebenhandlungen Miss Lonelyheart davon ab, sich das Leben zu nehmen.

Nachtrag zum Podcast: Das Lied, das in den 1930ern (nicht 20ern) bekannt wurde, weil es so traurig war, dass es angeblich Menschen in den Suizid trieb war Szomorú Vasárnap (Gloomy Sunday).

Youtube

Die Rezeption von Das Fenster zum Hof

Rear Window war ein Riesenerfolg und spielte allein in den USA mit allen Re-Releases 36,8 Mio $ ein. Der Film ist der dritte, der Five Lost Hitchcocks, den wir hier besprechen (nach Vertigo und The Trouble with Harry), also jener Filme, deren Rechte bei Hitch lagen und die er nach der Kinovorführung bis zu seinem Tod unter Verschluss hielt. 1967 wurden die Filmnegative von Rear Window bei einem Brand zerstört. 1999 wurde der Film restauriert.

Preise & Bestenlisten

Zitate & Referenzen

Der Film bietet sich aufgrund des begrenzten Plotts gut an für Remakes oder Hommagen. Es gibt wirklich sehr viele verschiedene Adaptionen des Grundsettings, in dem ein Protagonist an sein Zimmer gefesselt ist und etwas schreckliches beobachtet. So wurde er etwa 1998 mit dem querschnittsgelähmten Christopher Reeve in der Hauptrolle neuverfilmt.

Copyright Fuckup

2007 gab es mit Disturbia eine Neuinterpretation des Stoffs von Regisseur D. J. Caruso mit Shia LaBeouf in der Hauptrolle. 2008 verklagten die Rechteinhaber, der Sheldon Abend Trust, die an Disturbia beteiligten Produktionsfirmen, dass sie das Copyright verletzt hätten. Aber 2010 unterlagen sie vor Gericht.

Einige weitere Beispiele für Filme und Serien, die das Grundthema aufgriffen oder variierten:

  •  Brian DePalma, der großer Hitch-Fan ist und unzählige Referenzen in seine Filme einbaut, verwendete in Sisters (1973) und Body Double (1984) das Motiv der spionierenden Nachbarn.
  • Die Knight-Rider-Folge Halloween Knight (1984) ist eine Variation
  • In Woody Allens Manhattan Murder Mystery (1993) wird das Thema des obsessiven Verdachts gegen Nachbarn aufgegriffen
  • In The Simpsons: Bart of Darkness (1994) schlüpft Bart in die Rolle
  • Friends (1994) der Running-Gag mit „Ugly Naked Guy“ ist ebenfalls eine Referenz
  • In Robert ZemeckisWhat Lies Beneath (2000) wird das Thema am Anfang des Films aufgegriffen
  • Die fabelhafte Welt der Amelie (2001) zollt Hommage in Form des Charakters Raymond Dufayel
  • Intime Fremde (2004) benutzt das Szenario am Anfang um Voyeurismus als Leitmotiv zu etablieren
  • Scream 4 (2011): Rear Window wird immer wieder wörtlich referenziert, schließlich beobachten zwei Protagonisten einen Mord durchs Fenster auf der anderen Straßenseite.
  • In Person of Interest: Super (2012) tauchen neben vielen anderen Referenzen der Rollstuhl und das Fernglas auf.
  • Castle: The Lives of Others (2013) – Castle schlüpft in die Rolle.

Lesenswert & Sehenswert

 

15 Trends, die uns das Filmjahr 2015 brachte

Ich kam dieses Jahr fast nicht dazu, ins Kino zu gehen, daher kann ich keinen Jahresrückblick machen, in dem Sinne, dass ich euch von Filmen vorschwärmen kann. Aber ich habe euch zugehört und euch gelesen und das gab mir vielleicht das, was mein ehemaliger Linuistik-Prof eine mittlere Distanz nannte. Eine mittlere Distanz braucht man, um etwas gut untersuchen zu können. Ich glaube jedenfalls, ein paar Trends erkannt zu haben, die das Filmjahr 2015 brachte und die ich insgesamt ziemlich spannend finde, weswegen ich – obwohl ich fast nichts gesehen habe – sagen kann: 2015 war ein gutes Jahr für den Film.

Manche dieser Trends, genau wie manche der Filme, die ich erwähnen werde, schwappen noch aus 2014 mit in meine Betrachtung rein und andere werden erst 2016 kommen, schließlich halten sich größere Entwicklungen nicht an Jahresabschnitte. Aber fangen wir an, zunächst noch mit ein paar Captain-Obvious-Punkten, die ich aber erwähnen muss, damit ich die 15 vollkriege 😉 . Wir werden uns dann zu den richtig spannenden Entwicklungen am Ende dieses Listicles steigern. Beginnen wir mit einigen Come-Backs:

I'll be back

1. „Star Wars ist zurück und geht nie wieder weg“

Den Satz habe ich mir von Christian von der Second Unit ausgeliehen und er trifft vollkommen zu. Star Wars: The Force Awakens leistete alles, was es leisten musste: Es war besser als die Prequels, es bot den alten Fans genug Nostalgie, um sich wieder jung zu fühlen und eine Hand voll guter Charaktere für die neuen Fans. Ob es ein guter Film war, kann ich noch nicht beurteilen, aber darum geht es mir hier und im folgenden Artikel nicht. Wir werden in Zukunft jedes Jahr einen Star-Wars-Film bekommen und auch Netflix scheint die dazugehörenden Serien zu bringen. Und wisst ihr was? Im Augenblick habe ich da richtig Bock drauf! Mal schauen, wann bei mir die Marvelmüdigkeit in Bezug auf diese weit, weit entfernte Galaxie eintritt.

Star Wars ist zurück

2. Pixar ist zurück

Nachdem Pixar uns in den 00ern etwa mit WALL.E und Up! ein Paar echte Perlen der Filmgeschichte geschenkt hatte, spulten sie in diesem Jahrzehnt nur ihr Pflichprogramm ab. Wir bekamen drei Fortsetzungen und in dem einzigen Jahr, in dem sie mit Brave mal was neues wagten, war das ziemlich inspirationslos und sie wurden vom Mutterkonzern Disney mit Frozen schlichtweg deklassiert. Habe ich schonmal erwähnt, dass Frozen ein fucking Meisterwerk ist und ihr den Film alle sehen müsst!?! Aber mit Inside Out ist Pixar jetzt endlich wieder in der Spur. Schön!

Joy!

3. Der Western ist zurück

Anders als mit dem Gangsterfilm in den 90ern, musste Tarantino sich diesmal richtig ins Zeug legen, damit Hollywood auf seinen großen Eisenbahnraub aufspringt. Nachdem der Großmeister mit Kill Bill 2 und Inglorious Basterds uns zunächst Westernthemen in anderen Genre-Gewändern vorsetzte, wurde er mit Django Unchained und nun The Hateful Eight plakativer. Und endlich raffte Hollywood, was er da machte und lieferte letztes Jahr mit Filmen wie The Revenant, Bone Tomahawk, Slow West oder Netflix‘ unsäglichen The Ridiculous 6 nach. Und auch 2016 wird sich dies, etwa mit Jane Got a Gun oder Brimstone fortsetzen.
Room for one more?

4. Die Siebziger sind zurück

Nachdem seit Jahren die 80er und 90er durchgenudelt werden, wurden 2015 gleich drei Franchises der 70er erfolgreich wieder aufgegriffen und ins 21. Jahrhundert geführt: Star Wars hatte ich schon erwähnt, Mad Max: Fury Road war in aller Munde und auch die Rocky-Fortsetzung Creed löste wohlwollende Kritiken und respektable Einspielergebnisse aus. Eine Alien-Fortsetzung ist bereits angekündigt uns es würde mich nicht wundern, wenn wir in naher Zukunft Neuverfilmungen oder Fortsetzungen von Dirty Harry, Jaws oder The Exorzist sehen werden.
Fury Road, take me home ...

5. Die Renaissance des guten Horrofilms

Doch das überraschendste „Comeback“ hatte 2015 meines Erachtens der Horrorfilm. Er war ja nie weg, aber er war ziemlich unspannend in den letzten Jahren. Von Ausnahmen abgesehen sahen wir nur Zombies (so sehr ich die mag, sie riechen langsam schon echt komisch), Found-Footage-Filme und Jump Scares. Doch dieses Jahr überschlug sich meine Filterblase vor Entzückung, weil Filme wie It Follows, The Babadook, What We Do In The Shadows, A Girl Walks Home Alone at Night und Ich seh, ich seh endlich wieder Kreativität in dieses Genre brachten. Eine sehr schöne Entwicklung.
Hello Ladies!

6. Agenten gehen immer

Kommen wir von den Come-Backs zu den Trends, die sich fortsetzten. Auch im vergangenen Jahr konnten die Studios sicher sein, dass Agentenfilme ihr Publikum finden. Egal, ob es gute Filme wie Mission: Impossible – Rogue Nation oder schlechte wie James Bond 007 – Spectre waren, die Menschen strömten in die Kinos, um Spione in Action zu sehen. Filme wie Kingsman: The Secret Service, Bridge of Spies, Spy und bedingt wohl auch Sicario konnten sich diesen anhaltenden Trend zunutze machen.
I don't gif a damn

7. Noch mehr Universen noch größer!

Dann hatten wir natürlich auch wieder jeeeeede Menge Superhelden. Marvel ließ nicht nur die Avengers und einen wirklich obskuren Superhelden über die große Leinwand tanzen, nach Agents of Shield legten sie mit Daredevil und Jessica Jones auch auf dem Serienmarkt nach. Besonders die letzten beiden Serien brachten einen angenehm frischen Wind in ein Franchise, das mich ansonsten zunehmend langweilt. Doch auch die Konkurrenz von DC legt nun nach. Nachdem einige Serien wie The Flash, Gotham und Supergirl gelauncht wurden, bekommen wir 2016 mit Batman v. Superman das Äquivalent zu den Avengers. Wie erwähnt wird auch Disney seine Galaxie im Krieg zu einem großen Universum mit Spin-Offs und Serien aufblasen. Und ich kann mir vorstellen, dass wir auch ähnliches mit dem Harry-Potter-Universum erleben werden, sofern das Spin-Off im nun anlaufenden Jahr ein Erfolg wird. Insgesamt finde ich den Trend spannend, denn er erweitert die Möglichkeiten, im Kino Geschichten zu erzählen. Ich bin vor allem gespannt, wann „erwachsene Filme“ auf den Zug aufspringen. Beipielsweise böten sich Wes Andersons Welten an, verflochten zu werden. Auch in Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“-Universum würde ich sehr gerne noch tiefer eintauchen … Mal schauen, was da noch geht.
Huiiiiiiiiii

8. Die Netflixication des Kinos

Spannend ist auch, dass genauso, wie Kinofilme nun auf den Serienmarkt und besonders auf Netflix und andere große Player im Streaming-Markt drängen, Netflix anfängt, für die große Leinwand zu produzieren. Mit Beasts of No Nation brachte das Unternehmen einen ersten Film in die Kinos. Die Kinos boykottierten ihn allerdings weitgehend, da Netflix den Film zeitgleich auch schon streamte. Aber auch Amazon legte mit Chi-Raq nach und Chef Jeff Bezos sagte kürzlich im Interview, dass er einen Oscar gewinnen will. Das ist meines Erachtens eine sehr spannende Entwicklung. Mal sehen, wo sie hinführen wird.
Whas geht ab?

9. Erfolg ist planbar

Denn spannende Entwicklungen kann das Kino trotz einiger wirklich schöner Trends in 2015 (zu denen ich gleich komme, versprochen!) wirklich gebrauchen. Im Augenblick kann sich Hollywood einfach auf alten Konzepten ausruhen und die Menschen strömen trotzdem wie blöd ins Kino. Sage und schreibe ACHT der zehn erfolgreichsten Filme des Jahres waren Fortsetzungen! Der erfolgreichste Film des Jahres, Jurassic World hatte mehr als nur durchwachsene Kritiken. Aber warum sollte Hollywood mehr in gute Drehbücher investieren, wenn Mittelmaß reicht, um unglaubliche 1,7 Milliarden zu verdienen? Auch Disney ist auf dem besten Weg, die 4 Milliarden, die sie für Star Wars ausgaben, wieder einzuspielen.
Gaaanz langsam!

10. Young Adult wird erwachsen

Jetzt lehne ich mich mal aus dem Fenster: Ich prophezeie, dass die seit Anfang der 00er-Jahre anhaltende Welle von Young-Adult-Filmen langsam verebbt. Nach Harry Potter und Twilight endeten dieses Jahr nun auch die Hunger Games mit Mockingjay – Part 2 und die Versuche, ein neues Franchise für die Zielgruppe zu launchen, waren noch nicht vom ganz großen Erfolg gekrönt, zwar hatte Maze Runner: The Scorch Trials ein ganz beachtliches Einspielergebnis, aber es löste nicht annähernd so lebhafte Diskussionen in der Kritikerlandschaft aus, wie die oben erwähnten. Im Gegenteil dazu sah man unter den Blockbustern plötzlich wieder erstaunlich erwachsene Filme: The Martian, Mad Max, Mission Impossible und sogar Fifty Shades of Grey richteten sich allesamt eher an ältere Zuschauer. Auch wenn Star Wars neue junge Protagonisten präsentierte, so zeigt die starke Präsenz der alten Garde hier in die gleiche Richtung. Ich möchte behaupten, dass vieles von The 5th Wave abhängen wird, der 2016 erscheint. Wenn dieser Young-Adult-Film einschlägt, wird das Genre weiter dominieren. Falls nicht, werden wir mehr erwachsenere Filme sehen. Natürlich ist es nie ausgeschlossen, dass noch eine Überraschung geschieht und ein Film, den wir jetzt noch gar nicht auf dem Schirm haben, das Ruder wieder herumreißen wird.
Links, zwo, drei, vier ...

11. Near-Sience-Fiction ist der neue heiße Scheiß!

Spannend fand ich, wie sich langsam aber sicher die Near-Sience-Fiction zum neuen heißen Scheiß entwickelt. Sience-Fiction-Filme sehen wir seit Jahren in hoher Zahl. Aber 2015 war dahingehend anders, dass wir nicht mehr nur fantastische oder weit entfernte Welten sahen. Plötzlich waren es Probleme, die uns in wenigen Jahren oder Jahrzehnten beschäftigen werden, die wir auf der Leinwand sehen konnten. Das fing schon 2014 mit Interstellar an: Der Klimawandel zwingt die Menschheit, sich auch nach Lebensräumen außerhalb unseres Planeten umzusehen. The Martian wurde noch einen Schritt konkreter und fragte, was passiert, wenn wir anfangen, zum Mars zu reisen. Aber vor allem gab es Filme, die sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigten: Ex Machina, Chappie und auf spezielle Marvel-Art auch Avengers II. Irgendwie gehört auch Tomorrowland in diesen Trend, aber der Film spielte in meiner Filterblase eine so kleine Rolle, dass ich das nicht näher bestimmen kann. Spannend ist auch, dass Interstellar, The Martian und Ex Machina zeigen, dass plötzlich Wissenschaftlichkeit und Realismus wieder eine größere Rolle spielen. Es wirkt so, als hätten wir uns nicht nur in Bezug auf CGI an den großen Phantastereien etwas sattgesehen und nun darf es ruhig wieder etwas realistischer werden.
traurig?
Was mich zum nächsten Punkt bringt:

12. Es darf ruhig ein wenig physisch werden

Ein zaghaftes Pflänzchen keimt in Hollywood und es macht mir große Hoffnung! CGI wird erwachsen. Zwar waren auch letztes Jahr wieder die Bombastschlachten das Non plus Ultra wie die beiden erfolgreichsten Filme des Jahres zeigten: Jurassic World und Avengers II. Aber schon im dritterfolgreichsten Film (Star Wars) wurde wieder echtes Dynamit eingesetzt. Auch Mockingjay II setzte nicht zu 100 Prozent auf den Greenscreen, sondern drehte in Berliner U-Bahn-Stationen und am alten Flughafen Tegel. Doch am meisten stand für diese Hoffnung Mad Max: Fury Road. Wichtig ist, dass in keinem der Filme komplett auf CGI verzichtet wurde. Aber es besteht die Hoffnung, dass wir in Zukunft eine gesunde Mischung aus Computeranimationen und praktischen Effekten zu sehen bekommen.
Brummmmm!

13. Starke Frauen

Star Wars, Mad Max und Mockingjay stehen auch für einen weiteren, äußerst erfreulichen Trend: Endlich sehen wir vermehrt starke Frauen. Rey, Furiosa und Katniss Everdeen waren die Speerspitze dieses Trends, aber auch dahinter gab es erfreuliches zu vermelden! Inside Out hatte weiblich konnotierte Protagonistinnnen, in Ex Machina wurde unter anderem auch die Objektivierung der Frau mitverhandelt, mit Jessica Jones verabschiedet sich Marvel vom Pimmelträgeruniversum, in dem Black Widow als Schlampe bezeichnet wird. Und sogar Filme, bei denen das Konzept am Ende nicht gaNZ aufging wie Terminator: Genisys und James Bond versuchten starke Frauen irgendwie miteinzubauen.
Rey!!!!

14. Der Einfluss des Computerspiels

Der Trend der langen Takes und POV-Shots läuft schon ein paar Jahre. Filme wie Children of Men, Gravity und Maniac sind in ihrer Ästhetik ganz klar vom Computerspiel beeinflusst. Aber 2015 wurde noch einmal eine Schaufel draufgepackt. Das zeigt nichts besser als die beiden One-Taker. Sei es der „gefakte“ in Form von Birdman oder der „echte“, präsentiert von Victoria. Dass Filme ohne sichtbare Schnitte funktionieren, zeigt ganz klar, dass Computerspiele unsere Sehgewohnheiten in diese Richtung verschoben haben. Und auch in der zweiten Reihe finden sich Filme, die das verdeutlichen: Saul fia folgt seinem Protagonisten wie ein Third-Person-Shooter und irgendwie gehört auch Tangerine, der komplett mit einem iPhone gefilmt wurde, in diese Kategorie, auch wenn hier nicht das Videospiel sondern eben das Smartphone unsere Sehgewohnheiten verändert hat. Oder vielleicht gehört Tangerine auch eher in die nächste Kategorie
Flieg, kleiner Birdman!

15. Everything is a Remix

Denn die Generation YouTube ist in Hollywood angekommen. The Lego Movie, Terminator, Jurassic World, Star Wars und auch ein bisschen James Bond zeigten, dass Remake und Sequel mehr und mehr verschmelzen. Wie sehr die Grenzen zwischen „echten Filmen“ und der Remixkultur von YouTube verschmelzen, zeigte nicht zuletzt der Kurzfilm Kung Fury, der ziemlich genau auf der Mitte dieser Grenze lag. Ich weiß, viele finden diesen Trend fragwürdig, aber ich finde ihn sehr spannend. Das ist die wirkliche Innovation des Jahres. Ob das eine neue Filmepoche einleiten wird oder nur eine Mode ist, muss sich noch zeigen. Aber es ist auf alle Fälle die derzeit spannendste, weil radikalste Entwicklung im Mainstream-Kino!
Die Tore öffnen sich.

Was haltet ihr von meinen Beobachtungen? Habe ich da ein Fünkchen Wahrheit gefunden oder bin ich nur ein Blinder, der von Farben redet? Hat mein nach Mustern suchendes Gehirn mich in die Irre geführt? Und welches Muster habe ich übersehen? Ich würde mich sehr freuen, mit euch darüber zu diskutieren!