What seems to be the trouble, Captain?
Zwischen Charts, Jahresrückblicken und guten Vorsätzen haben wir eine Leiche vergraben, dann haben wir sie wieder ausgegraben und wieder eingegraben und … Ich denke, euch ist klar, worauf das hinausläuft: Aus einem High-Angle besprachen Paula und Daniel ‚The Trouble with Harry‘ und zwar natürlich im Faux-Naïf-Stil von Paul Klee. Irgendwann müsst ihr euch mal anhören, wie Hitch Blätter an Bäume kleben ließ.
Eckdaten
Regie: Alfred Hitchcock
Besetzung: Edmund Gwenn (Captain Albert Wiles), John Forsythe (Sam Marlowe), Mildred Natwick (Miss Ivy Gravely), Shirley MacLaine (Jennifer Rogers)
Budget: 1,2 Mio $$
Erscheinungsjahr: 1955
Genre: Komödie, Krimikomödie, romantische Komödie
https://www.youtube.com/watch?v=Msuulg7IB5s
Die Produktion von The Trouble with Harry
Immer Ärger mit Harry war die erste Komödie, die Hitchcock drehte seit Mr. and Mrs, Smith aus dem Jahre 1941. Der Film war ein Experiment von Hitch, er wollte testen, wie ein Film ohne große Stars beim Publikum ankommt.
Das Casting von Immer Ärger mit Harry
Der Produzent Herbert Coleman war mit seiner Frau auf einem Trip in New York. Auf die Empfehlung seiner Tochter hin, schaute er sich das Broadwaymusical „The Pajama Game“ mit Carol Haney in der Hauptrolle an. Coleman war so begeistert von der Leistung der Hauptdarstellerin, dass er direkt nach der Vorführung sie Backstage besuchte, um ihr die Rolle in „The Trouble with Harry“ anzutragen. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass die Schauspielerin nur die Zweitbesetzung war — Shirley MacLaine. So wurde „The Trouble with Harry“ zum Spielfilmdebut von Shirley MacLaine.
Der Dreh von The Trouble with Harry
Als die Dreharbeiten begannen, waren die Bäume wegen starker Unwetter überraschend schon entlaubt, weswegen Hitch die Blätter wieder ankleben ließ. Doch der Regen ließ auch dann nicht nach. Daher wurde der Dreh erst in eine Turnhalle verlegt und als keine Besserung eintrat kehrte man ins Studio nach Kalifornien zurück. Die Crew musste dafür kistenweise Herbstlaub aus Vermont nach Kalifornien transportieren. Während des Drehs in der Turnhalle wäre Hitch fast gestorben, als eine Kamera von einer Empore stürzte und nur Zentimeter neben ihm aufschlug.
Der Künster Saul Steinberg gestaltete für ein Honorar von $3,000 die Titel-Sequenz und orientierte sich dabei am Faux-Naïf-Stil von Paul Klee:
Filmisches Erzählen in Immer Ärger mit Harry
„Probably the most obvious example of a bright opening is in Trouble With Harry (1955), showing beautiful autumn scenery of orange leaves, rolling Vermont hills, and a church. Then an innocent child skips along and stumbles onto a dead body lying on green grass.“
Die erwähnte Titelsequenz und die darauf folgende Exposition setzen den Ton des Film: Wir sehen nach den kindlichen Zeichnungen erst die herbstlichen Hügel von Vermont und folgen dann einem kleinen Jungen bis wir die Leiche folgen und dann den Jungen mit einem Spielzeuggewehr über der Leiche stehen sehen:
Mit diesem Anfang und der kindlichen Perspektive hat Hitch gleich den Tonfall des Films klargemacht: Wir werden keinen Hitchcock-typischen Thriller zu sehen bekommen, sondern etwas Leichtes…
Kontraste in The Trouble with Harry
Hitch inszeniert diesen Film mit viele Gegensätzen. Am auffälligsten ist hierbei zunächsteinmal der Kontrast zwischen der malerischen Herbstlandschaft und der morbiden Handlung, bei der eine Leiche drei Mal ein- und ausgegraben wird.
„I’ve always been interested in establishing a contrast, in going against the traditional and in breaking away from clichés. With „Harry“ I took melodrama out of the pitch-black night and brought it out in the sunshine. It’s as if I had set up a murder alongside a rustling brook and spilled a drop of blood in the clear water. These contrasts establish a counterpoint; they elevate the commonplace in life to a higher level.“
Quelle: Hitch im Interview mit Truffaut
Aber auch der der komplette Film bildet einen Kontrast zu Hitchcocks Vorgängerfilm: How to Catch a Thief. In „Über den Dächern von Nizza“ waren alle Akteure steinreich, in Harry sind sie arm wie Kirchenmäuse. Außerdem war Schuld ein zentrales Thema in Thief, während bei Harry sie überhaupt kein Thema spielt. Es liegt eine Leiche rum und niemand fühlt sich schuldig deswegen. Niemand hat überhaupt eine stärkere emotionale Reaktion als „Oh, das ist jetzt aber dumm gelaufen“.
Schwarze Komödie und MacGuffin
Hitch selbst sagte, er wollte eine typisch britische schwarze Komödie drehen:
„It was an English-type comedy of the macabre, which I made in 1955. All about a body that gets dug up and buried about four times …The only message in the picture … was that you should never mess about with a dead body – you may be one yourself someday.“
Hitch im Interview mit Roger Ebert
Diesen schwarzen Humor erzeugt Hitchcock indem eine maximale Distanz zu der Leiche geschaffen wir. So wird er mehrfach mit Füßen angestupst, um seinen Zustand zu prüfen. Harry ist kein Mensch mehr, sondern bloß ein Ding, das herumliegt und stört. Er ist ein bloßer MacGuffin, der die Handlung vorantreiben soll. Der einzige, der Interesse für das Schicksal des armen Harry zeigt, ist der Sheriff und der wird als Wichtigtuer und Volltrottel dargestellt.
Wohin mit der Leiche und Whodunit
Der zentrale Plottpunkt ist eine Sache, die im klassischen Thriller eigentlich immer nur ein Nebenaspekt ist: Wohin mit der Leiche. Während das nur eine Nebenhandlung ist etwa in Psycho (wo die Leiche im Sumpf versenkt wird) oder in Vertigo (Wo die Leiche offen präsentiert wird, aber der Mord verschleiert), wird hier die Frage über die gesamte Spieldauer durchdekliniert.
Außerdem ist der Film eine Parodie des Whodunit, indem er gewissermaßen ein Whodunitnot ist. Drei der vier Protagonist/innen glauben, Harry ermordet zu haben und bekommen erst im Laufe des Films dargelegt, dass sie es nicht gewesen sein können.
High-Angle-Shot
Hitch benutzt den High-Angle-Shot immer in einer zentralen Szene des Films, wenn einem Protagonisten irgendetwas klar wird, wenn er oder sie eine Erleuchtung haben oder eine schreckliche Wahrheit entdecken. In Harry wird er verwendet, als der Captain und Marlowe Harry das erste Mal wieder ausbuddeln, weil dem Captain klar geworden ist, dass er Harry nicht erschossen haben kann.
Hitchs Cameo
Hitchcocks Cameo ist diesmal sehr unauffällig. Nach 22 Minuten läuft er hinter der Limousine des Milliardärs vorbei, gesehen durch das Fenster des kleinen Ladens. Er hatte übrigens erst geplant, selbst als Harry zu fungieren:
„But it is almost impossible to direct on your back“
Die Rezeption von The Trouble about Harry
„as film critic Peter Bradshaw hypothesizes, while audiences expected Agatha Christie, Hitchcock gave them Waiting for Godot.“
Der Film war Ein Flop: spielte nur die Hälfte seiner Produktionskosten wieder ein. In Europa lief er (vor allem in England, Frankreich und Italien) hingegen recht erfolgreich.
„As for The Trouble With Harry, unless you’re a Hitchcock fan who’s seen everything else he’s done, don’t go digging this one up. It stinks a little.“
Auch in der zeitgenössischen Kritik kam er nicht gut weg. Heute gibt es hingegen Kritiker, die meinen, dass der Film großartig ist, aber diese Meinung ist nicht unumstritten.
„Heretical as it might sound, The Trouble With Harry is, for me, one of his best, topped only by Rear Window in sheer delight.“
Der Film gehörte zu den absoluten Favoriten von Hitchcock selbst und er war ein wenig enttäuscht, dass Harry in der Kritik keinen so hohen Stellenwert genoss:
„Still, some of my pictures have never quite been accepted, I’m afraid. To this day I’m disappointed by the reception for ‚The Trouble with Harry.'“
Hitch im Interview mit Roger Ebert
Der Film war – wie schon Vertigo – einer der Five Lost Hitchcock’s: Filme an denen Hitch die Rechte erwarb und sie bis zu seinem Tod unter Verschluss hielt, damit seine Tochter sie postum wiederveröffentlichen konnte.
Preise
Der Film hat eigentlich nur einen relevanten Preis gewonnen: Shirley MacLaine erhielt den Golden Globe als beste Nachwuchsdarstellerin.
Zitate & Referenzen
In Peyton Place (1957) wurde Filmmaterial von Immer Ärger mit Harry wiederverwendet.
Es gibt einige Titelreferenzen, etwa in folgenden Serien:
- Das A-Team: The Trouble with Harry (1986)
- Full House: The Trouble with Danny (1992)
- Becker: The Trouble with Harry (2001)
In Remington Steele wird der Film mal in einem Dialog erwähnt. Außerdem gibt es zwei Variationen des Themas: Zum einen die Serie Twin Peaks (1990) von David Lynch und zum anderen die Komödie Weekend at Bernie’s (1989).
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Lesenswert
- Harry im The Alfred Hitchcock Wiki
- Kritik im Guardian
- Qwipster’s Movie Reviews
- Interessante Fakten bei Turner Classic Movies
- Ausschnitt aus dem Truffaut-Interview zu Harry
- World Cinema Review
- Total tiefsinnige, aber auch ein weing prätentiöse und sehr anstrengende Analyse
- Writing with Hitchcock
The End.
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