SF15 – Hannah Arendt



Die Banalität des Bösen

Mit guten Filmvorsätzen tappte Paula komplett unvorbereitet in Margarethe von Trottas Inhaltsfalle aka. Biopic über Hannah Arendt, dabei hatte Paula sich gerade erst an Bruce Willis gewöhnt und legte viel Wert auf Originalzitate. Hölzerner Zoom und Schwenk: Wir folgen Hannah Arendt aufs Star-Trek-Set nach Israel und beobachten den Shitstorm um ihre Berichterstattung über den Eichmann-Prozess. Daniel und Paula streiten, ob Heinrich und Hannah ganz normale Schlauköppe sind oder das Drehbuch einfach nur schlechte Dialoge beinhaltete.


Vorgeplänkel

Im Vorgeplänkel erzählt Daniel eine Anekdote über einen Geldautomatenraub. Hier ist der SpOn-Artikel dazu. Das ganze geht auf diesen 30c3-Vortrag zurück:

Video auf Youtube
Ein „Heist“ ist übrigens ein Raubüberfall und berühmte Beispiele für Heist-Movies sind:

Das Spulgeräusch Tape Recorder.wav stammt von Pogotron. Die Datei steht unter der Lizenz CC Sampling Plus 1.0.

Podwichteln

Unsere letzte Episode SF14 – Heat wurde im Rahmen des Podwichtelns 2013 von der Serienabfertigung übernommen. Wie möchten uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich dafür bedanken. Wir haben unsererseits eine Folge vom FragezeichenPod aufgenommen und neben dem Gespensterschloss auch wieder über Filme, etwa den Stummfilm, berühmte ‚Haunted Places‘ und natürlich Hitchcock gesprochen.

Gute Filmvorsätze für 2014

Filme, die wir 2014 ansehen wollen:

Außerdem stellen wir fest, dass der neue Star-Wars-Regisseur wohl bedingt, dass Episode VII „Star Wars: The Next Generation“ heißen wird. Paula will sich besser vorbereiten und wir wollen mehr Filme von Regisserinnen gucken, womit wir auch gleich beginnen:

Eckdaten

Regie: Margarethe von Trotta
Erscheinungsjahr: 2012
BesetzungBarbara Sukowa, Axel Milberg
Genre: Biopic, Charakterstudie, Gerichtsfilm
Budget konnte ich nicht herausfinden…

Margarethe von Trotta

Als Kriegsflüchtling lebte Margarethe von Trotta staatenlos in Deutschland und erhielt erst mit ihrer ersten Ehe die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie ist Feministin und verklagte unter anderem mit Alice Schwarzer erfolglos den Stern wegen sexistischer Titelbilder. Sie dreht oft Filme über starke Frauen, will sie aber nicht als feministische Filme verstanden haben. Sie war verheiratet mit Volker Schlöndorff, mit dem sie auch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ drehte und das Drehbuch schrieb (auch noch mit Heinrich Böll). Von Trotta ist auch Schauspielerin. Sie spielte in vier Fassbinder-Filmen mit. Mit Fassbinder und Schlöndorff gehört wohl auch Margarethe von Trotta zur „deutschen Sektion“ der Nouvelle Vague, allerdings ist Hannah Arendt sehr konventionell inszeniert.

Filmographie von Margarethe von Trotta (Auswahl):

Die Produktion von Hannah Arendt

Von Trotta hatte vor Drehbeginn mit Lotte Köhler (Arendts Sekretärin) sowie der Witwe von Hans Jonas und anderen Vertrauten und Bekannten von Hannah Arendt gesprochen. Das Drehbuch wurde bereits 2004 geschrieben. Der Film fand aber lange keine Finanziers. Die Skyline New Yorks (auch die Hochhäuser vor den Fenstern von Arendts Apartement) waren Bühnenbauten. Der Film wurde in 37 Drehtage in Nordrhein-Westfalen, Jerusalem sowie in Luxemburg gedreht. Arendts Landsitz stand trotz des amerikanischen Aussehens nicht in den USA sondern in NRW. Am Set wurden fünf verschiedene Sprachen gesprochen: Deutsch, Englisch, Französisch, Hebräisch und Russisch. Denn beim Dreh in Israel hatt von Trotta Probleme Statisten zu finden. Aus irgendeinem Grund konnte sie nur Russen als Statisten finden.

Hannah Arendt war von Trottas erster Film, der mit Digitalkamera gedreht wurde. Der Eichmann-Prozess wurde mit Original-Aufnahmen vom Prozess durchsetzt. Die Eichmann-Originalaufnahmen stammen aus dem Steven Spielberg Jewish Film Archive, gedreht wurden die Szenen in Israel am Originalschauplatz des Prozesses.

Die Wikipedia schreibt, dass im Kino der Film nur teilweise synchronisiert ist und die englischen Teile untertitelt sind. Wir haben dem Film bei Watchever geguckt, mutmaßlich ist das die DVD-Version. Diese ist komplett durchsynchronisiert, was eine Szene, in der der Witz darin besteht, dass die Exillanten in einer hitzigen Debatte vom Englischen in ihre Muttersprache wechseln, komplett kaputt macht.

Filmisches Erzählen

Der Film hat einen sehr starken Auftakt. Zuerst sieht man, wie der Mossad Eichmann auf einer staubigen Landstraße in Argentinien kidnappt, zurück bleibt nur Eichmanns Taschenlampe. Szenenwechsel. Wir sehen Hannah Arendt rauchend auf ihrer Chaiselongue liegen und damit rauchen. Dies ist von Trottas Hauptmetapher um das Denken zu verfilmen. Szenenwechsel. Hannah Arendt steht am Fenster, wir hören den ersten Satz des Films: „Hannah, wie kannst du ihn nur verteidigen?“. Mit der Erwartung, mit der der Zuschauer in den Film geht, denkt er, hier ist schon von Eichmann die Rede, aber es geht eigentlich um den Ex-Mann von Arendts bester Freundin Mary McCarthy.

Leitthema des Films ist die Verfilmung des Denkens. Von Trotta hat dafür, wie erwähnt, vor allem zwei Metaphern. Zum einen die Chaiselongue zum anderen das Rauchen. Dass der Unterschied zwischen metaphorischer und buchstäblicher Bedeutung für manche Menschen schwer zu erkennen ist, zeigt dieses absurde Zitat:

Denn „Hannah Arendt“ ist auch ein sehr schöner Film über das Verfertigen der Gedanken beim Rauchen geworden. Die Denkerin auf dem Diwan ausgestreckt zu sehen, wie sie Rauchwolken produziert, ist nicht nur ein visueller, sondern auch ein intellektueller Genuss. Wenn sie bei Diskussionen oder als Dozentin die Zigarette wie ein Panier vor sich herführt, leuchtet einem unmittelbar ein, dass der Niedergang der Universitäten mit der Marginalisierung der Raucher in den Seminaren (und dem Triumph der Stricknadeln) einhergegangen sein muss.

Quelle: Jörg Schöning auf SpOn. Das ist wohl ein Paradebeispiel für eine Scheinkorrelation…

Allerdings hatte der Film auch große Schwächen in der Inszenierung. So verstößt er massiv gegen Hitchcocks Diktum, dass man Filme in Bildern und nicht in Worten erzählt, indem Hannah Arendt Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Holocaust in Dialogen erzählt. Während das vor ihren Studenten noch zu entschuldigen ist (auch wenn eine Rückblende schöner gewesen wäre), wird dieses Erzählen der Backstory komplett ad absurdum geführt, als sie ihre Vergangenheit dann ihrem Ehemann erzählt!

Insgesamt sind die Dialoge schwach, was bei einem dialogischen Film natürlich um so schwerer wiegt. Hannah und ihr Ehemann Heinrich Blücher werfen sich oft nur Platitüden an den Kopf, viele kurze Szenen, in denen die Protagonisten Zweizeiler austauschen, wechseln sich ab. Zudem hat man den Eindruck als habe von Trotta krampfhaft versucht, möglichst viele Originalzitate von Arendt in den Film zu packen, was die Dialoge oft recht hölzern macht. Unterstrichen wird das noch durch die Kameraarbeit von Caroline Champetier. Die uns viel zu oft  mit dem Holzhammer darauf hinweist, wie unglaublich wichtig das Gesagte ist, indem sie mit Close-Up und langsamem Zoom versucht Ausrufezeichen zu setzen.

Auch der Shitstorm gegen Arendt ist sehr schwach inszeniert. Als zentrales Bild dafür wählt von Trotta einen kleinen Briefstapel und Fanpost und einen großen Stapel von Hassbriefen. Die Brisanz der Situation, in der Hannah Arendt sich befindet kommt nicht zum Ausdruck.

Genauso schwach ist die Darstellung von Heidegger. Es ist nicht ersichtlich, warum von Trotta hier Rückblenden einsetzt, dann Heidegger aber absolut blass zeichnet, während sie, wie erwähnt, bei der Schilderung von Hannah Arendts Flucht aus Deutschland auf Rückblenden verzichtet.

Der Film weist in der Ausleuchtung einen starken Kontrast auf: die Szenen in New York sind düster, die in Jerusalem sehr hell. Was uns Margarethe von Trotta damit sagen will, hat sich uns aber nicht erschlossen.

Der Prozess in Israel ist aber wahrscheinlich die beste Szene des Films. Von Trotta mixt hier Originalaufnahmen und neu gedrehtes Material sehr elegant.

„Szenen, in denen der Film zeitgeschichtliche Aufklärung betreibt und nachvollziehbar werden lässt, wie Arendt zu der Auffassung kommen konnte, dass Eichmann kein Mephisto, sondern ein „Hampelmann“ war.“

Quelle: taz.de

Die Rezeption von Hannah Arendt

„At times, in fact, it seems like a radio play with pictures.“

Quelle: The Guardian

Anders als das Zitat erwarten lässt, steht Daniel mit seiner Kritik an dem Film weitgehend alleine da. Um es allerdings noch einmal zu betonen: Auch wenn Daniel Hannah Arendt schlecht bewertet, ist der Film nicht 300-schlecht!

Hannah Arendt erhält überwiegend positive Kritiken. So erhält er bei Rotten Tomatoes eine Durchschnittsbewertung von 86% (Stand Januar 2014). Besonders Barbara Sukowas Performance wird einhellig gelobt.

“Barbara Sukowa is magnetic as the great writer and philosopher.  Seems like an impossible subject for film, yet even viewers who have never read a word of her books will be stirred by her intellectual and emotional courage in Sukowa’s award-worthy performance.”

Quelle: Deborah Young im Hollywood Reporter. Via Filmforum.

Der Film hat das Prädikat „besonders wertvoll“ der Deutschen Film und Medienbewertung erhalten. Und beim Deutschen Filmpreis gewann Hannah Arendt den Filmpreis in Silber in der Kategorie Bester Spielfilm sowie Barbara Sukowa die Auszeichnung Beste darstellerische Leistung – weibliche Hauptrolle.

Hörens- und Lesenswertes zum Film

3 Gedanken zu „SF15 – Hannah Arendt

  1. Pingback: SF15 – Hannah Arendt | Privatsprache

  2. Wilpur Jakobson

    Interessante Auseinandersetzung, da das Paar unterschiedliche Positionen einnimmt und auch die zusätzlichen Infos im Textteil sind hilfreich. Nicht schön, dass Paula irgendwann anfängt zu essen. Das ist extrem eklig.

    Antworten

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