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1923 – The Hunchback of Notre Dame

Das beeindruckendste an der ersten Verfilmung des Glöckners von Notre Dame von Regisseur Wallace Worsley ist sicherlich der enorme Aufwand, der betrieben wurde, um fantastische Kulissen und aufwendige Kostüme zu erschaffen. Der Film hatte ein Budget von damals sagenhaften 1,25 Millionen Dollar. Es waren 750 Techniker engagiert, um die Kulissen zu errichten und instandzuhalten. Es wurde ein riesiges Set von der Fassade der Kirche und dem Platz davor geschaffen, sowie neben vielem anderem ganze Straßenzüge und in den Massenszenen wurden 200 Statisten eingesetzt.

Der Aufwand lohnte sich, am Ende spielte The Hunchback of Notre Dame über 3 Millionen Dollar ein und er machte Lon Chaney, der den Glöckner spielte und schon vorher ein geachteter Charakterdarsteller war, zum Star. Den Ruhm hatte er dabei nicht zuletzt seinem enorm aufwendigen Kostüm zu verdanken mit künstlichem Buckel aus Gips, aufgeklebten Warzen und einem eigens für ihn angefertigten Gebiss – dies war ein Aufwand, der bislang noch nicht betrieben worden war.

Die Handlung in fünf Sätzen

Ich persönlich kenne die literarische Vorlage von Victor Hugo nicht, habe aber gelesen, dass die Story leicht abgewandelt wurde, daher erzähle ich sie in fünf Sätzen nach: Die schöne Roma Esmeralda steht im Mittelpunkt, ihr liegen die Männer zu Füßen, insbesondere drei Stück: Zum einen Phoebus de Chateaupers, der Kommandeur der Stadtwache, den ich der Einfachheit halber Prinz Schleimbeutel nennen werde, außerdem wäre da noch Clopin, König der Bettler und Diebe und nicht zuletzt Priester Jehan, der Chef von Quasimodo, dem Glöckner. Jehan ist so heiß auf Esmeralda, dass er sie von Quasimodo entführen lassen will, doch Prinz Schleimbeutel schreitet ein, befreit Esmeralda und nimmt Quasimodo gefangen, während Jehan flieht. Quasimodo wird ausgepeitscht und ist entsprechend schlecht auf seinen Chef zu sprechen, unterdessen verlieben sich Schleimbeutel und Esmeralda. Das passt Jehan natürlich nicht und er versucht Schleimi zu erstechen. Natürlich flieht er wieder und Esmeralda wird für die Tat angeklagt und zum Tode verurteilt. Doch das passt weder Quasimodo noch Clopin: Der Glöckner befreit Esmeralda und nimmt sie mit in den Glockenturm, wo sie Kirchenasyl bekommt, während Clopin voll am Rad dreht, die Massen aufwiegelt und aus einem mir nicht ersichtlichen Grund die Kathedrale stürmen will. Im Showdown metzelt die Stadtwache, angeführt vom plötzlich wieder genesenem Prinz Schleimbeutel die aufbegehrende Bevölkerung ab, während Jehan versucht Esmeralda zu vergewaltigen. Doch Quasimodo schreitet ein und wirft seinen Chef vom Turm, wird jedoch von Jehan tödlich verwundet. Am Ende sind Schleimi und Esme wieder vereint.

Schleierhaftes Drehbuch

Klingt das verwirrend? War es auch! Einige Entscheidungen des Drehbuchs bleiben mir sehr schleierhaft. Besonders das konterrevolutionäre Finale, das die Bevölkerung als dummen Mob darstellt, der von der aufrechten aristokratischen Stadtwache abgemetzelt wird, hat mir überhaupt nicht gefallen. Genausowenig – ihr ahnt es vielleicht – hat mir Phoebus de Chateaupers gefallen.

Prinz Schleimbeutel. Screenshot aus dem Glöckner von Notre Dame. Lizenz: gemeinfrei.

Prinz Schleimbeutel. Screenshot aus dem Glöckner von Notre Dame. Lizenz: gemeinfrei.

Ein grässlicher Protagonist, der Esmeralda anfangs nur poppen will und auch schon kurz vor der Vergewaltigung steht (In einer Holzhammermetapher sehen wir eine Spinne, der ein Schmetterling ins Netz geht), sich dann aber in sie verliebt und es sich anders überlegt. WTF? Weiterhin war strange, dass die Stadtwache beritten war. Ich gebe zu, das ist Nitpicking, aber eine Kavelerie ist doch wohl denkbar ungeeignet um in engen Gassen die Ordnung aufrecht zu erhalten. Wie dilettantisch die Wachen sind, sieht man nicht zuletzt daran, dass die Bettler und Diebe zwischendruch einfach mal einen Ball der Aristokraten stürmen, um Esmeralda aus den Klauen von Prinz Schleimbeutel zu befreien. Die Szene zeigt einerseits wieder das konservative Weltbild von der bösartigen Unterschicht und hat andererseits keinerlei Konsequenzen für Schleimi. Wenn heutzutage ein Haufen Ganxta den Römer in Frankfurt stürmen würde, weil der Polizeichef die falsche Braut angebaggert hat, müsste der Polizeichef aber mit Sicherheit seinen Hut nehmen.

Filmisches Erzählen in The Hunchback of Notre Dame

Auch filmisch ist der Glöckner von Notre Dame eher unspektakulär. Mir ist aufgefallen, dass Shot-Reverse-Shot nun auch im Dialog angewendet werden. Mit Sicherheit war The Hunchback of Notre Dame aber nicht der erste Film, der dies machte. Das zeigt sich schon dadurch, dass die Trias Shot, Reaction Shot und Totale sehr routiniert eingesetzt wurde, so wie es noch heute in der Darstellung von Dialogen üblich ist. Außerdem sind Massenszenen recht schön von High-Angle-Shots eingefangen. Hier konnte sich Worsley riesigen Kulissen zu Nutze machen, die für den Film gebaut wurden. Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang auch die Arbeit des Stuntmans, der den Glöckner spielt, wenn der auf der Fassade der Kirche herumturnt. Einmal gibt es sogar einen Topshot, in dem Quasimodo an einer Fahnenstange baumelt, während tief unter ihm der Platz mit einem Volksfest darauf zu sehen ist und ein anderes Mal sehen wir aus der gleichen Perspektive, wie er sich abseilt. Nach allem, was ich gelesen habe, scheint es sich hierbei um einen tatsächlichen Abgrund und nicht um eine Projektion zu handeln.

Abschließend habe ich noch eine Liste mit ein paar Kuriositäten zu diesem Film:

  • Der berühmte William Wyler arbeitete als Regieassistent hier mit
  • Esmeralda soll eigentlich mit ihrer Tanzkunst beeindrucken, hüpft aber herum, wie eine Katze, die versucht, Fliegen zu fangen.
  • Andererseits ist sie zumindest in der ersten Hälfte des Films eine ungewöhnlich starke Frauenrolle, die ja obendrein noch Roma ist.
  • Dass der Film in den wilden 20ern und noch vor der Installation des Hays Code entstand, sieht man nicht zuletzt, wieviel Haut Esmeralda immer mal wieder zeigt.
  • Und zu guter Letzt sehen wir in diesem Film die Mutter des Evil Laughter:
Screenshot aus dem Glöckner von Notre Dame. Lizenz: gemeinfrei.

Screenshot aus dem Glöckner von Notre Dame. Lizenz: gemeinfrei.

1922 – Häxan

Ich habe seit 1901 keine Dokumentation mehr gesehen, daher kann ich nicht sagen, ob Häxan von Benjamin Christensen den State of the Art des Dokumentarfilms zeigt oder eher experimental war. Falls es ein Experiment war, dann ein gescheitertes. Ich hätte den Film wahrscheinlich ausgeschaltet, wenn ich ihn nicht für diese Reihe unbedingt hätte zu Ende gucken wollen. Ausgesucht hatte ich ihn, weil wir in unserer Blair-With-Project-Folge schon einmal angesprochen haben. Der Film hat natürlich das Problem, dass eine Doku im Gegensatz zu einem Spielfilm viel mehr Infos rüberbringen muss. Und da dem Medium die doppelte Informationsvermittlung über Bild und Ton abgeht, artet das eben in einen Texttafel-Exess aus. Aber niemand will einen Film lesen. Dann kann ich besser zum Buch greifen, denn da kann ich selbst die Geschwindigkeit bestimmen.

Aber über diese mediale Schwäche hinaus trifft er einige wirklich unglückliche inszenatorische Entscheidungen. So wechseln sich die unzähligen Texttafeln zu Beginn mit Abbildungen aus Büchern und Gemälden ab, was zum Einschlafen ist. Unterstützt wird das Klassenzimmer-Feeling noch dadurch, dass ein trashiger Zeigestock uns darauf hinweist, welche Elemente des Bildes wichtig sind. Erst nach 7:30 Minuten sehen wir das erste bewegte Bild, eine Animation. Es könnte eine Art Scherenschnitt mit Seilzügen sein … Jedenfalls ist es die erste Quasi-Animatronic, genaueres lässt sich aber nicht erkennen, da absurd viel Rauch vor die Höllenszene geblasen wird, sodass sie vollkommen verschleiert ist. Danach geht es wieder weiter mit dem statischen Wechsel von Bilder und Texttafeln und erst nach 13:45 Minuten sehen wir die erste inszenierte Szene.

Ich will nicht verschweigen, dass der expressionistisch beeinflusste Film, auch einige starke Bilder hat, Tropes setzt und auch die Tricktechnik voran bringt. So wird in einer Szene Stop-Motion rückwärts abgespielt um Geld wegfliegen zu lassen. Als ein Mönch wegen sündiger Gedanken ausgepeitscht wird, legt Christensen in einer Doppelbelichtung über die in der Totalen gefilmte Szene das schmerzverzerrte Gesicht des Sünders. Der Trope, dass der Hexentest darin besteht, zu prüfen, ob die Hexe schwimmen kann, wurde hier zwar nicht erfunden, da es sich ja um eine Doku handelt, aber in den Film eingeführt. Monty Python nimmt ihn später in Die Ritter der Kokosnuß auf, wir berichteten … Ebenso lief mir hier zum ersten Mal der Trope des Good Cop und Bad Cop über den Weg. Zwei Mönche gebärden sich während eines Hexenprozesses derart.

Die größte Schwäche des Films wiederum ist der Umstand, dass er sich nicht entscheiden kann. Einerseits will er über den Aberglauben aufklären und erklärt zum Beispiel vermeintliche Eigenarten von Hexen schön anachronistisch als Symptome der Hysterie. Andererseits will er dann auch wieder provozieren und verstören, indem er Hexenrituale zeigt, in denen dem Teufel der Hintern geküsst oder auch schon mal ein Baby gekocht wird.

Das Provozieren gelang ihm auf alle Fälle, er löste in Dänemark Entrüstung unter den Zuschauern und in Frankreich Protest der Kirche aus. In Deutschland wurde der Film sogar verboten und in vielen anderen Ländern stark zensiert.