SF11 – The Blair Witch Project (Das große Halloweenspecial)



I was very naive

Unser erstes Halloweenspecial führt uns ins Wesen des Horrorfilms. Wir gehen der Frage nach, was einen Horrorfilm ausmacht. Beschäftigen uns mit der Geschichte der Mockumentary. Ohne Drehbuch verlieren wir dank GPS unseren Weg nicht aus dem Auge und folgen dem Flusslauf. Dabei nähern wir uns dem Gesamtkunstwerk und stellen fest, dass die Hexe von Blair zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Hoffentlich werden Sie nicht seekrank von unserem Wackelmikrofon!

Eckdaten

Genre: Horror, Mockumentary
Erscheinungsjahr: 1999
Budget: Zwischen 22.000 und 60.000 $
Regie: Daniel Myrick, Eduardo Sánchez
BesetzungHeather Donahue, Joshua Leonard, Michael C. Williams (unter ihren richtigen Namen)

Horror

Wir wagen uns an eine Definition des Horrorfilms: Das Genre zerfällt in zwei Subgenres. einmal den Psychothriller Im Psychothriller geht die Gefahr von einem menschlichen Psychopathen aus und die Aufklärung der Verbrechen ist Teil der Erzählung. Beispiele sind Psycho, Das Schweigen der Lämmer, American Psycho, Scream oder Dexter.

Im klassischen Horrorfilm ist das Böse hingegen übernatürlich, außerirdisch oder übermächtig. Etwas, das so in der Welt nicht existiert, seien es Zombies, Aliens, Monster, Hexen oder menschenjagende Haie. Beispiele sind Der weiße Hai, die „Living-Dead„-Reihe, Alien, Das Ding aus dem Sumpf oder eben Blair Witch Project.

Wichtig ist, dass die Protagonisten nicht agieren sondern reagieren müssen. Sie werden gejagt und müssen um ihr Leben fürchten. Oft gibt es den Dreh, dass der Protagonist zunächst das Monster jagt und dann selbst zum Gejagten wird.

Außerdem soll der Zuschauer sich natürlich Gruseln. Horrorfilm setzt auf Schockmomente und zeigt oft explizit Gewalt.

Das ist eine vorläufige und unvollständige Definition. Habt ihr noch Ergänzungen?

Mockumentary

Eine Mockumentary ist eine gefakte Dokumentation. Beispiele aus Literatur, Radio und Film:

Oder eben Blair Witch Project…

Plottloch

Warum folgen die drei Protagonisten nicht dem verdammten Flusslauf? Falls ihr euch mal im Wald verlauft: zumindest in unseren Breitengraden führen alle Flüsse ins Meer. Somit kommt ihr früher oder später aus jedem Wald!

Die Produktion

Es gab kein Drehbuch, die Schauspieler bekamen nur Background-Infos zur Hexe von Blair. Sie wurden auch in dem Glauben gelassen, der Mythos sei ein echter Mythos. Allerdings wussten sie, dass sie eine Mockumentary drehen. Die Interviewpartner am Anfang des Films waren Schauspieler, auch das wussten die Hauptdarsteller nicht.

Sie wussten auch nicht, welche Ereignisse sie im Wald erwarten. Sie bekamen immer per Walkie Talkie die neuen Koordinaten durchgesagt und improvisierten dann. Oft sind sie wirklich überrascht. Etwa bei den Geräuschen in der Nacht. Das waren übrigens zebrechende Stöcke. Oder als die Regisseure von außen gegen die Zeltwand schlugen. Die Schauspieler bekamen jeden Tag weniger Essen, um sie in eine echte Stresssituation zu versetzen. Die Schauspieler hatten GPS und ein Walkie Talkie, damit sie sich nicht verirren. Dennoch haben sie sich drei Mal verirrt. Als sie so frustriert sind, weil sie wieder am gleichen Fluss sind, nachdem sie immer nach Süden gelaufen waren, war das echt…

Der Film wurde in nur 8 Tagen abgedreht. Es entstanden 19 Stunden Filmmaterial, die dann auf 90 Minuten zusammengeschnitten wurden. Ursprünglich war geplant, den Film mit einer Hintergrundhandlung zu ergänzen, aber in 8 Monaten im Schnitt gelang das nicht. Das Material war ursprünglich von wesentlich besserer Qualität und wurde nachträglich verschlechtert, um realistischer zu wirken.

Filmisches Erzählen

Die Rollen waren von den Regisseuren so konzipiert, dass Heather Captain Ahab sein sollte, Mike sollte die Gedanken des Zuschauers aussprechen und Josh sollte vermitteln

Die Regisseure sagten später, sie seien durch The Shining, Alien und das Omen beeinflusst worden. Ferner durch die 70er-Jahre-Serie „In Search of…„. Die Idee, dass man das Böse nie zu Gesicht bekommt, haben sie von Der weiße Hai übernommen.

Der Mythos der Hexe von Blair

Um die Illusion zu verstärken, dass es sich um eine echte Doku handelt erfanden die Regisseure den Mythos der Hexe von Blair mitsamt einer 200 Jahre alten Geschichte. Bei dem Erschaffungsmythos der Blair Witch orientierten sie sich am Theaterstück The Crucible (Hexenjagd), das seinerseits die Hexenprozesse von Salem behandelt.

Die Regisseure erfanden ferner eine Reihe von Ereignissen und vermeintlicher Belege, die auf den verfluchten Wald der Hexe von Blair hinweisen sollten.

„But the movie wisely doesn’t present this information as if it can be trusted; it’s gossip, legend and lore, passed along half-jokingly by local people, and Heather, Josh and Mike view it as good footage, not a warning.“

rogerebert.com

Diese Beweise sind zum Beispiel:

  • Das im Film zu sehende und natürlich erfundene Buch von 1809 The Blair Witch Cult
  • Eine vermeintlich in den 1940ern stattgefundene Mordserie
  • Die Regisseure stellten ein Tagebuch von Heather aus dem Wald her, das vermeintlich gefunden wurde
  • Ferner gab es „Polizeifotos“ von der Suche nach den drei vermissten Studenten
  • Bereits 1998 erstellten Myrick und Sanchez eine Webseite, die über das angebliche Verschwinden der drei berichtetet, sowie über den Fund der Ausrüstung mit den Filmaufnahmen
  • Unter anderem waren fiktive Interviews mit Familienmitgliedern der Vermissten auf der Homepage zu sehen. Außerdem angebliche Polizeiberichte
  • Vor der Premiere des Films lief eine fiktionale Doku auf dem amerikanischen Sci-Fi-Channel über die Legende der Hexe von Blair
  • In der IMDB waren die drei Schauspieler bis zur Premiere von Blair Witch Project als vermisst, mutmaßlich tot gelistet

Und schließlich das wichtigste Moment: die formale Umsetzung mit farbigem und schwarz-weißem Filmmaterial zitternder HI-8-Kameras. Die Not der knappen Produktionsmittel wird so kurzerhand zur Tugend umformuliert und der bildhafte Purismus zur kunsthaften Kategorie, zum Wirkungsmotor erklärt.“

filmspiegel.de

Bedeutungstragende Namen

Wie oft in Filmen, so wurden auch in Blair Witch Project bedeutungstragende Namen verwendet. Die angeblich reale Person hinter der Hexe soll Elly Kedward geheißen haben. Das ist ein Anagram des Okultisten Edward Kelley aus dem 16. Jahrhundert. Der Kindermörder aus den 1940ern Rustin Parr ist nach Rasputin benannt (Auch wenn das Anagram Rrrasputin heißen müsste…). Und die Produktionsfirma des Films heißt Haxan Films. Sie ist nach dem schwedischen Wort für Hexe benannt und zitiert die Doku „Häxan: Witchcraft Through the Ages“ von Benjamin Christensen.

Filmische Zitate

  • Es gibt im Plott sehr große Ähnlichkeiten mit Bis das Blut gefriert (1963)
  • Das Ende, an dem Mike in der Ecke steht mit dem Gesicht zu Wand zitiert das Ende von  Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973)
  • Das Setting des verfluchten Waldes zitiert Eyes of Fire (1983)
  • In der Supermarktszene am Anfang von Blair Witch soll man im Hintergrund „You’re Rick Derris?“ hören. Das ist ein Zitat von Clerks (1994)
  • Und Washington Irvings Kurzgeschichte „The Devil and Tom Walker“ wird in der Szene zitiert, in der Heather das Bündel mit den Zähnen findet

Anekdote

Im Film wird 154 mal „fuck“ gesagt.

Rezeption

The picture itself is very remarkable indeed – brilliant in its sheer macabre clarity and simplicity. It is not a horror film; in fact its success makes the modern horror genre, with its evenly-spaced production-line shocks, crude soundtracks, and self-defeating ironic self-awareness, look utterly bankrupt.

The Guardian

Ursprünglich hatten die Regisseure gehofft, dass der Film vielleicht irgendwo im amerikanischen Kabelfernsehen laufen werde. Er wurde dann vom Studio Artisan für 1,1 Mio $ gekauft. Artisan steckte noch einmal 25 Mio $ in die weltweite Vermarktung. Der Film spielte schließlich 248 Mio $ ein. Damit ist Blair Witch der rentabelste Film aller Zeiten. (Nur die deutsche Wikipedia führt an, dass der Porno Deep Throat noch rentabler war).

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Der fast beispiellose Erfolg von Blair Witch erklärt sich sicher zum großen Teil daraus, dass der Film zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. 1999 war das Internet endgültig vom Expertenmedium zum Massenmedium geworden. Der Film machte sich das Internet zu nutze wie kein Film zuvor. Zudem hatte gerade der Reality-TV-Boom eingesetzt aber noch nicht der Trend hin zur scripted Reality. Nicht zu unterschätzen ist sicher auch der Einfluss der filmischen Bewegung ‚Dogma 95′. Die in der Tradition der Nouvelle Vague das Kino vom Hollywood-Ballast befreien wollte um zurück zu den Wurzeln zu kehren. Schließlich hatte CGI seinen Siegeszug angetreten. Episode I war bereits erschienen, im selben Jahr kam Matrix in die Kinos und auch bis Herr der Ringe sollten nur noch zwei Jahre vergehen.

At a time when digital techniques can show us almost anything, „The Blair Witch Project“ is a reminder that what really scares us is the stuff we can’t see.

rogerebert.com

Anekdoten

Im Internet gab es eine große Diskussion, ob der Film echt ist. Spuren davon finden sich bis heute. Das ganze hatte so große Ausmaße, dass sich die Stadt Burkittsville zu einer FAQ genötigt sah, um mit den Gerüchten über die Hexe aufzuräumen. Das Ortsschild von Burkittsville wurde übrigens seit der Veröffentlichung von TBWP bereits drei Mal geklaut. Womit es aber noch nicht an das wohl meistgeklaute Requisit, den Captain’s Chair aus Star Trek herankommt.

Zuschauer berichteten, dass sie von der Wackelkamera seekrank wurden und sich sogar übergeben mussten. Aber das gleiche wurde auch von iOS7 berichtet. Ein paar Weicheier gibt es halt immer…

1999 und 2000 gab es eine schlechte Jagdsaison, weil so viele Fans durch die Wälder streiften und Dokus à la Blair Witch machten.

Heather Donahue erzählte später, dass sie mit Anfeindungen zu kämpfen hatte wegen ihrer Rolle in Blair Witch in der sie ja unter ihrem echten Namen spielte und dass sie deshalb auch Probleme hatte eine neue Rolle zu bekommen. Anscheinend können manche Menschen nicht zwischen Schauspiel und Realität unterscheiden, selbst wenn der Charakter im Film stirbt, die Schauspielerin aber überlebt.

Preise und Bestenlisten

Der Film gewann den Prix de la Jeunesse in der Kategorie Ausländischer Film bei den Filmfestspielen in Cannes.

It isn’t the creepiest movie ever made. It wasn’t even the creepiest thing at Cannes that year – Mel Gibson was in town, after all. But the film’s absolute fidelity to its chosen form – the way it never deviated from material shot by the characters, or allowed us any comforting distance – ensured that it could not be dismissed, even by those who didn’t like it.

The Guardian

Filmcritic.com listet den Film auf Platz 50 der besten Filmenden. Und die Chicago Film Critics Association listet den Film auf Platz 12 der „scariest 100 movies“.

Referenzen und Zitate

Die Macher haben das Konzept von Blair bis auf den letzten Cent ausgequetscht:

  • Es gab eine Fortsetzug: Blair Witch 2: Book of Shadows
  • Es war sogar noch ein Teil geplant, der konnte aber nicht umgesetzt werden. Wahrscheinlich wegen des Misserfolgs des zweiten Teils
  • Es gab drei Computer-Spiele
  • Da im Film nicht genug Musik für einen Soundtrack zu hören ist, erschufen die Produzenten das Narrativ, dass in Joshuas Auto nach seinem Verschwinden eine Kassette gefunden wurde. Deren Inhalt wurde dann als Josh’s Blair Witch Mix auf CD veröffentlicht.
  • Und zu guter Letzt gab es auch noch eine Jugendbuchreihe

Mockumentary und „Gefundenes Material“

Das Thema Mockumentary und „gefundenes Material“ wurde im Nachklang nach Blair Witch wiederholt aufgegriffen – nicht nur im Horrorfilm. Zum Beispiel in:

Zitate

Blair Witch Project wurde unter anderem zitiert von:

  • Dawsons Creek (1999): Der Plott wurde referenziert
  • Akte X (2000): Der Film wurde im Dialog erwähnt
  • Scary Movie (2000): Heathers Testament wird gespoofed
  • Ginger Snaps (2000) zitiert die Szene, wie Heather auf der Suche nach Josh nachts in den Wald rennt
  • Im Computerspiel Baldur’s Gate II – Shadows of Amn (2000). Der Plott wird zitiert: Im Spiel stößt du auf die Story von drei Magie-Studenten, die auf der Suche nach einer Hexe verschwanden.
  • In der Serie Will & Grace (2001) wird ein Blair Witch Souvenirshop erwähnt.
  • Relic Hunter (2001) Der Plott wir referenziert und damit man es auch versteht, wird dann der Film auch noch im Dialog genannt.
  • Die Serie Angel (2001) erwähnt Blair Witch im Dialog
  • In Family Guy (2001) wird der Film geguckt
  • In America’s Sweethearts (2001) wird der Titel genannt
  • In Buffy (2001) wird die Blair Witch erwähnt
  • Das Musikvideo der Band HIM zu ‚And love said no…‘ (2004)sieht man wohl das Haus avom Ende von Blair Witch.
    Youtube
  • In Juno (2007) wird der Film erwähnt.
  • Ebenso in Abgedreht (2008).
  • In der Serie Supernatural (2008) wird eine „Blair Bitch“ erwähnt.
  • In How I Met Your Mother (2010) wird ebenfalls die Hexe erwähnt.
  • In Paranormal Activity 2 (2010) wird der Schluss von Blair filmisch zitiert.
  • In der Serie Bones wurde der Titel wiedeholt genannt und einmal der Plott zitiert
  • Wiederholt in der Hexenserie Charmed: Doku über Hexen und eine Titelreferenz
  • Die Simpsons haben den Film auch wieder geadelt, indem sie ihn mehrfach zitierten und referenzierten. Etwa indem Marge „Blair Witch repellent“ für Barts Camping-Trip kauft.
    In einer anderen Folge wir Heathers Testament zitiert (leider nur auf spanisch):
    Youtube

Lesenswertes

 

 

 

 

2 Gedanken zu „SF11 – The Blair Witch Project (Das große Halloweenspecial)

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