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SF114 – Das indische Tuch (Ein Edgar-Wallace-Film aus Paulas Kindheit)

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Hier spricht Edgar Wallace!

Zwischen Jahresrückblicken und guten Vorsätzen blicken wir in dieser Folge nicht bloß auf 2016 und schmieden Pläne für 2017. Nein, wir haben auch einen Film aus Paulas Kindheit besprochen. Dabei fragten wir uns, ob Alfred Vohrer ein Genie ist, warum Eddi Arent immer Butler spielt, was eigentlich Shia LaBeouf macht und ob Klaus Kinski glücklich Särge durch Venedig trug. Wir besuchten erneut Filmische Welten und fanden eine moderne Inszenierung, die sich ihrer Künstlichkeit nicht nur wegen des von Geisterhand gelenkten Servierwagens bewusst ist. Außerdem stellten wir fest, dass Edgar Wallace‘ Morde nicht ganz so clever waren, wie er selbst dachte. Zum Kotzen!

Vorgeplänkel & Abschweifungen

Unsere guten Vorsätze: Öfter mit einer Gästin podcasten, weniger aber dafür bessere Folgen machen, unsere Reihen fortsetzen: Hitch, Halloweenspecial, Weihnachtsspecial, Regisseurinnen, Tarantino, Filme aus Paulas Kindheit, Horroctober und Followbruary ♦ Der Followbruary folgt direkt nach dieser Folge. Hier gibt es die Liste ♦ Wir haben begonnen den Proustfragebogen noch einmal zu beantworten, da sich einiges geändert haben könnte ♦ Was macht eigentlich Shia LaBeouf? Na, das hier!

Die Eckdaten von Das indische Tuch

Erscheinungsjahr: 1963
Regie: Alfred Vohrer
Produktion: Horst Wendlandt
Besetzung: Heinz Drache (Anwalt Frank Tanner), Elisabeth Flickenschildt (Lady Emily Lebanon), Klaus Kinski (Peter Ross), Hans Clarin  (der Sohn von Lord Lebanon), Eddi Arent (Butler Richard Maria Bonwit)
Genre: Krimi, Edgar-Wallace-Film, Grusel-Krimi, Komödie schwarze Komödie

Die Edgar-Wallace-Filme

Edgar Wallace lebte von 1875  bis 1932. Er war Journalist und Krimi-Autor. Spannend ist, dass er seinen ersten Roman 1905 „Die vier Gerechten“ im Eigenverlag herausbrachte. Das Buch wurde ein großer Erfolg aber zugleich ein finanzielles Desaster für Wallace. Als Marketing-Gag hatte er jedem, der die Art der Ermordung eines der Opfer des Buches erraten würde, einen Preis in Höhe von 500 Pfund versprochen. Leider war das Rätsel nicht so kompliziert, wie Wallace gedacht hatte und viele errieten die Methode. Die Zeitung, bei der Wallace arbeitete, die Daily Mail, rettete ihm den Hals, indem sie die Schulden zahlte, um schlechte Publicity für einen ihrer Angestellten zu vermeiden.

Bereits in den 1920ern und den frühen 30ern entstanden erste Adaptionen von Wallace‘ Werk in Deutschland. Diese waren ein großer Erfolg, von dem nicht zuletzt der Werbeslogan der Reihe „Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu werden!“ dem Publikum im Gedächtnis blieb. Im Nationalsozialismus wurden aber keine weiteren EW-Filme gedreht.

1955 kam dann Gerhard F. Hummel, damaliger Programmberater der Constantin Film auf die Idee, die Reihe neuaufleben zu lassen. Da Krimis in den Nachkriegsjahren aber nicht beliebt waren, scheute die Constantin zunächst das Risiko. Ende der 50er erwarb dann aber doch die Constantin-Tochter Rialto Film die Rechte an den Edgar-Wallace-Büchern und begann die Reihe, die heute meist gemeint ist, wenn von „Edgar-Wallace-Filmen“ gesprochen wird.

Zwischen 1959 und 1972 wurden von der Rialto insgesamt 32 Edgar-Wallace-Filme gedreht. Hinzu kamen noch einige von anderen Produktionsfirmen, bis die Rialto vor Gericht durchsetzte, dass nur sie die Rechte an den Filmen habe. Der erste EW-Film war Harald Reinls Verfilmung von DER FROSCH MIT DER MASKE (1959). Zu Reinl empfehlen wir unsere Folge zu Der Schatz im Silbersee.

Die Filme waren bis 1966 in Schwarz-Weiß und wurden im Breitbildformat Ultrascope (1:2,35) gedreht. Nach 1966 wurde die Filme dann in Farbe gedreht und nur noch im Verhältnis 1:1,85. Diese Anpassung wurde durchgeführt, um auf den Fernsehmarkt als Zweitverwertung abzuzielen. 1967 startete in Deutschland das Farbfernsehen. Die Reihe lief aus in einer Reihe von Co-Produktionen mit England und Italien, die aber der Erwartung des Publikums nicht mehr entsprachen. Sie hatten zwar noch immer ganz akzeptable Einspielergebnisse, aber die Produktionskosten stiegen und andere, modernere Genres wurde immer beliebter beim deutschen Kinopublikum.

Der Regisseur Alfred Vohrer

Prägend für die Edgar-Wallace-Filme wurde schließlich Regisseur Alfred Vohrer, der den ironisch-artifiziellen Stil der Filme schuf und bei den meisten Regie führte. Alfred Vohrer wurde 1914 geboren. Nachdem er beim württembergischen Staatstheater war, machte er ein Volontariat bei der Ufa. Im zweiten Weltkrieg war er Soldat und verlor seinen rechten Arm. Nach dem Krieg ging er zunächst zum Radio, wo er als Oberspielleiter bei Radio Stuttgart arbeitete. 1949 kam er dann zurück zum Film und arbeitete zunächst als Synchronregisseur. Er war unter anderem für die Synchronisation von Die Faust im Nacken (1954) und Die Brücke am Kwai (1957) verantwortlich.

Alfred Vohrer war homosexuell und lebte seit Mitte der 1950er mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Dahlem. Sein Regiedebüt gab er 1958 mit Schmutziger Engel. Bei den Dreharbeiten von Bis dass das Geld euch scheidet (1960) lernte er den Produzenten Artur Brauner kennen und über ihn Horst Wendlandt, den Produktionschef der Rialto Film. Wendtland bot Alfred Vohrer die Regie für seinen ersten Edgar Wallace-Film Die toten Augen von London (1961) an. Insgesamt drehte Vohrer 14 Edgar-Wallace-Filme, unter anderem Das Gasthaus an der Themse (1962), Der Zinker (1963), Das indische Tuch (1963), Der Hexer (1964) und Neues vom Hexer (1965). Außerdem machte er drei Karl-May-Filme: Unter Geiern (1964), Old Surehand (1965) und Winnetou und sein Freund Old Firehand (1966).

Ab den 1970ern waren Vohrers neues Projekt, das wohl auch seine eigene Idee war, die Verfilmungen der Romane von Johannes Mario Simmel. Zum Beispiel Und Jimmy ging zum Regenbogen (1971), was ein großer Erfolg wurde. Daraufhin folgten Liebe ist nur ein Wort (1971),  Der Stoff aus dem die Träume sind (1972) und Alle Menschen werden Brüder (1973). 1976 beendete  der sonst unpolitische Regisseur seine Kinokarriere mit der Verfilmung des Anti-Nazi-Romans von Hans FalladaJeder stirbt für sich allein (1976).

Vohrer ging danach zum Fernsehen. Schon seit 1974 arbeitete er für die Serie Derrick und ab 1977 dann auch für Der Alte. Und in einer echten westdeutschen Fernsehregisseurkarriere darf natürlich auch nicht die Arbeit für Das Traumschiff (ab 1983) und Die Schwarzwaldklinik (ab 1985) fehlen. Vohrer starb überraschend am 3. Februar 1986 im Hotel Königshof in München an Herzversagen. Er war dort gewesen, um die Dreharbeiten für eine weitere Folge Der Alte anzutreten.

Wiederkehrende Schauspieler in den Edgar-Wallace-Filmen

Eine Reihe von Schauspielern kehrte bei den Edgar-Wallace-Filmen immer wieder: Eddi Arent spielte fast immer den Comic Relief, Siegfried Schürenberg den liebenswürdig-trotteligen Scotland-Yard-Boß (da das Scotland Yard in Das indische Tuch nicht vorkommt, spielt er diesmal einen Urwaldforscher), die Ermittler wurden meist von Joachim Fuchsberger oder wie hier von Heinz Drache  gespielt. Schließlich war da noch Klaus Kinski: Er gehörte immer zu den Verdächtigen, war oft verrückt und hatte Dreck am Stecken, aber war selten der eigentliche Täter.

Klaus Kinski

Klaus Kinski wurde 1926 in der Nähe von Danzig geboren. Sein bürgerlicher Name lautet Klaus Günter Karl Nakszynski. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er 1944 bei einer Fallschirmjägereinheit und geriet in den Niederlanden in britische Kriegsgefangenschaft. Bereits im Gefangenenlager spielte er erste Theaterrollen auf der provisorischen Lagerbühne.

Nach dem Krieg hatte er erste Engagements am Theater in Tübingen und Baden-Baden, bevor der Intendant Boleslaw Barlog ihn zum renommierten Schlosspark Theater nach Berlin holte. Hier feierte er seinen Durchbruch, insbesondere mit dem Stück „La voix humaine„, in dem er als Frau auftrat. Das war im prüden Berlin der 50er Jahre ein Skandal. Allerdings schmiss Barlog Kinski raus, nachdem dieser einmal vor Wut die Scheiben des Theaters einschlug.

Kinski machte sich dann als (wie er es nannte) „Ein-Mann-Wanderbühne“ einen Namen. Er trug unter anderem Werke von Nietzsche, Dostojewski, Tucholsky, Baudelaire und aus dem neuen Testament vor. Damit war er so erfolgreich, dass er 1960 sogar den Berliner Sportpalast füllte, in den 10.000 Menschen passten.

Klaus Kinskis Filmkarriere

Insgesamt spielte Kinski in 140 Filmen und Serien mit. Da er einen verschwenderischen Lebensstil hatte, war er bei der Auswahl seiner Rollen nicht wählerisch, sondern spielte teilweise beim größten Schund mit. Die meisten seiner Filme fand Kinski selbst „zum Kotzen“.

Bereits 1948 spielte Kinski in seiner ersten Rolle einen KZ-Hälftling in Eugen Yorks Drama Morituri. Der Film war im Nachkriegsdeutschland, das seine jüngste Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet hatte, umstritten. Die Crew erhielt Drohbriefe und ein Hamburger Kino wurde sogar zerstört (wir konnten nicht herausfinden, wie). 1954 erhielt Kinski eine kleine Rolle in Roberto Rossellinis Film Angst.

Seinen Durchbruch hatte er dann in den 1960ern mit den Edgar-Wallace-Filmen. Sein erster Film war 1960 Der Rächer. Insgesamt spielte er in 16 Edgar-Wallace-Verfilmungen mit, meist den cholerischen oder wahnsinnigen Bösewicht. Das brachte ihm internationale Anerkennung ein.

So spielte er in Folge dessen 1965 den Anarchisten Kostoyed Amourski  in Doktor Schiwago. Und im gleichenJahr Wild in Sergio Leones Für ein paar Dollar mehr. Er spielte in vielen Italo-Western mit, am bekanntesten ist dabei sicher noch Leichen pflastern seinen Weg (1968) von Sergio Corbucci. Kritikeranerkennung erhielt er dann vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Werner Herzog. Mit dem er in den 70ern und 80ern fünf Filme drehte:

Bei den Dreharbeiten zu Cobra Verde kam es zum endgültigen Bruch mit Werner Herzog. Werner Herzog hatte in seiner Dokumentation Mein liebster Feind – Klaus Kinski (1999) die Beziehung der beiden aufgearbeitet. 1981 spielte Kinski außerdem mit Jack Lemmon und Walter Matthau im letzten Billy-Wilder-Film Buddy Buddy.

1989 drehte er seinen letzten Film, bei dem er auch Regie führte und das Drehbuch schrieb: Paganini. hatte Jahre-lang versucht Paganini zu finanzieren. Schließlich fand er die Produzenten Carlo Alberto Alfieri und Augusto Caminito und drehte mit ihnen die drittklassige Fortsetzung Nosferatu in Venedig (1988). Im Gegenzug finanzierten sie Paganini. Allerdings vertritt sich Kinski mit den Produzenten. Daher wurde sein Film fast nie gezeigt und kam erst nach seinem Tod in die Kinos. Am 23. November 1991 starb Klaus Kinski in seinem Haus in Hollywood an Herzversagen.

Klaus Kinskis Charakter

Kinski war zu Lebzeiten in psychologischer Behandlung und unternahm mehrere Suizidversuche. Er litt an Hypochondrie und körperlichen Krankheiten. Bei den Dreharbeiten zu Cobra Verde brach er einmal zusammen.

Kinski war berühmt als Exzentriker. Zum Beispiel war er dafür bekannt, dass er seine Rollen nicht probte. Er sagte dazu: „Hin- und Herlatschen, damit die Regisseure auch mal sehen, warum sie keine Fantasie haben, das mache ich nicht.“ Ein Angebot von Fellini schmetterte er aufgrund der geringen Gage mit den Worten „Laß Dich in den Arsch ficken“ ab. Über Werner Herzog sagte er „Herzog ist ein miserabler, gehässiger, missgünstiger, vor Geiz und Geldgier stinkender, bösartiger, sadistischer, verräterischer, erpresserischer, feiger und durch und durch verlogener Mensch.“ Das Drehbuch zu Aguirre nannte er ‚analphabetisch primitiv‘. Bei Cobra Verde tickte er dann vollkommen aus. Kinski versuchte an manchen Tagen selbst Regie zu führen. Er ließ Herzog den Kameramann Thomas Mauch feuern: „Dieser Mauch hatte nicht eine einzige Aufnahme im Kasten, die nicht auf den Misthaufen gehörte.“. Unterbrach die Dreharbeiten, weil er schmollte, dass Herzog eine Szene in seiner Abwesenheit drehte. Und bei der letzten Szene steigert er sich so in sein Schauspiel rein, dass er fast ertrunken wäre.

Kindesmissbrauchsvorwurf gegen Klaus Kinski

„Kinskis provozierende Selbstdarstellung wurde Teil einer Medienpersona, die das Prahlen mit sexuellem Missbrauch als Exzentrik verklärte.“

Frankfurter Rundschau

Bereits in seiner Autobiografie „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ von 1975 hatte er geschrieben, dass er Sex mit einer 13-Jährigen hatte (und seiner Mutter und seiner Schwester, was Kinskis Brüder aber abstritten).

1991 prahlte er in seinem Buch „Ich brauche Liebe“ damit, ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Tochter Nastassja Kinski zu haben. Sie widersprach dem und wollte ihren Vater auf Gegendarstellung verklagen. Dazu kam es aber wegen des Todes von Klaus Kinski nicht mehr. 1999 sagte Nastassja  dem Guardian, ihr Vater habe sie nie sexuell missbraucht, „auf andere Weise aber schon“. Er habe sie zwar nicht geschlagen, „aber niederträchtig beschimpft“ und begrapscht. 2013 erhob Kinskis Tochter Pola Kinski schwere Vorwürfe: Ihr Vater habe sie sexuell missbraucht. In einem Stern-Interview erzählte der jüngste Sohn Nikolai Kinski hingegen, er habe niemals erlebt, dass sein Vater aggressiv oder ausfallend geworden sei: „Mein Vater war privat der sanfteste Mensch, den man sich vorstellen konnte“.

Die Produktion von Das indische Tuch

Das indische Tuch war der 16. deutschsprachige Edgar-Wallace-Film. Um Produktionskosten zu sparen, wurde der Film fast komplett im Studio gedreht. Es gab lediglich zwei Außenaufnahmen. Das Schloss wurde als Matte Painting auf einen Vorhang gezeichnet. Der Satz „Hallo! Hier spricht Edgar Wallace“ wurde von Regisseur Alfred Vohrer gesprochen.

Der Film hat fast gar nichts mehr mit dem Roman gemein. Stattdessen wurde viel von Agatha Christies Roman Und dann gabs keines mehr eingearbeitet. Der Titel von Christies Roman wurde von „Gutmenschen“ geändert und hieß im Original 10 kleine *hier einen übel-rassistischen Begriff einfügen*.

Filmisches Erzählen in Das indische Tuch

Die erste Szene & Künstlichkeit der Inszenierung

Das indische Tuch beginnt mit einem Matte Painting: Das Schloss in dem die Handlung spielt wird gezeigt. Eigentlich soll ein Matte Painting täuschend echt aussehen. Doch das gemalte Schloss am Anfang von Das indische Tuch sieht extrem künstlich aus – zudem wabern davor noch sehr unglaubwürdige ‚Nebelschwaden‘ offensichtlich aus Trockeneis.

Doch diese offensichtlichen Budgetlimitierungen werden im nächsten Moment durch einen Bruch der filmischen Illusion ironisch kommentiert: Das Matte Painting war auf einen Vorhang gemalt, der nun hochgezogen wird.

Das nächste Bild ist nicht weniger grotesk und unterstreicht die selbstbewusste Künstlichkeit, die sich fortan durch die gesamte Inszenierung zieht: Wir sehen Hans Clarin am Klavier sitzen. Hinter ihm steht eine absurd große Beethoven-Büste und obendrein befindet sich noch ein ausgestopftes Pferd im Zimmer.

Mit diesen beiden ersten Bildern verdeutlicht der Film sofort, dass er keinerlei Anspruch hat, realistisch zu sein. Dieser Verzicht auf Realismus waren ein Markenzeichen der Edgar-Wallace-Filme. Zugleich war und ist er etwas sehr besonderes im deutschen Kino, in dem der Realismus bis heute das Ideal der filmischen Inszenierung ist. Die Inszenierung soll zum Verschwinden gebracht werden: Kamera, Musik und Schnitt sollen so unauffällig sein, dass sie sich ganz in den Dienst der Handlung stellen. Das indische Tuch bricht sehr bewusst und sehr selbstbewusst mit diesem Ideal – er ist ein Gegenentwurf.

Dies zieht sich durch den gesamten weiteren Film: Er glänzt mit unkonventionellen Zooms und Kameraschwenks. Wir sehen die Morde immer aus einer subjektiven Perspektive – Hände halten vor der Kamera das mordbringende indische Tuch. Es gibt einen Servierwagen, der von Geisterhand fährt und der ganze Film endet mit einem Bruch der vierten Wand, indem Edgar Wallace als Alleinerbe ausgerufen wird. Wir sehen hier Stilmittel, die wir auch bei Monty Python oder Bertold Brecht wiederfinden.

Bedeutung der Edgar-Wallace-Filme für das deutsche Nachkriegskino

Die Edgar-Wallace-Filme waren erstaunlich modern für ihre Zeit. Sie erschienen in einer Zeit, in der stockkonservative Heimatfilme das deutsche Kino dominierten. Die Ermittler in den EW-Filmen waren Stadtmenschen – Menschen von Welt – zugleich aber bieder und ideale Schwiegersöhne.

Die Themen, die verhandelt wurden, hielten der deutschen Wirtschaftswunder-Gesellschaft einen Spiegel vor. Es ging vor allem um Geld und Intrigen. Die Morde wurden nur wegen materialistischer Motive begangen, so wie sich im Nachkriegsdeutschland vieles nur noch um Geldverdienen und Konsum drehte.

Kritik am Plott

Fragwürdig inszeniert ist, wie schnell und unwidersprochen der Anwalt die Ermittlungen übernimmt. Es ist ja nicht so, dass Anwälte eine höhere Qualifikation bei Mordermittlungen haben als die anderen anwesenden. Aber nachdem schonmal jemand in diesem Film ermordet wurde, sehen alle sofort ein, dass Tanner den Mord aufdecken soll. Woraufhin dieser sich auch erst einmal standesgemäß in Pose wirft und die anderen verhört.

Natürlich ist das alles nicht ernst gemeint: Dies zeigt sich ja schon darin, dass niemand in Das indische Tuch je über einen der vielen Morde geschockt ist.

Die Rezeption von Das indische Tuch

Der Film wurde von der FSK ab 16 Jahren freigegeben. Im Fernsehen wurde der Film in einer stark gekürzten Fassung im 4:3-Format ausgestrahlt. Der im Original farbige Vorspann wurde durch einen Schwarzweißvorspann ersetzt. 1991 wurde die FSK-Freigabe der gekürzten Version auf 12 Jahre heruntergesetzt. Inzwischen wurde der Film auch für en kleinen Bildschirm in der originalen Kinofassung veröffentlicht, die wieder ab 16 Jahren freigegeben ist. Im Vergleich mit den anderen Filmen steht der Film mit 1,9 Millionen Zuschauern eher schlecht da.

Quentin Tarantino hat sich in einem Interview mal als Alfred-Vohrer-Fan geoutet und sagte „Alfred Vohrer is a genius!“

Im Laufe der Jahre wurden viele Versuche unternommen, die Edgar-Wallace-Filme wieder aufleben zu lassen. Der erfolgreichste dieser Versuche ist sicherlich die Parodie Der Wixxer.

Lesenswert

The End.

SF88 – Jackie Brown (feat. Dennis)

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Ordell


I can’t afford to start all over again

Niemand mag 3D, deshalb haben wir den besten Kumpel überhaupt unseren Proustfragebogen beantworten lassen, während er zur Stimme von David Fincher einschlief. Dennis glaubt zwar nicht an Filmfehler, er hat aber trotzdem seine eigene Podcastproduktion liegenlassen, als wir ihm eine Rolle in unserem Blaxpoitation-Hangout-Movie anboten. Während einer gefühlt zwei Tage langen Aufnahmesession stellte er sein Expertenlicht unter den Scheffel, während Paula mal da und dann wieder fort war und Daniel Roxette-Kassetten kaufen ging. Zündet ungefragt die Kippen an, zieht die Kangol-Mützen und die Latzhosen an und kreuzt die 110th Street! Wir haben Jackie Brown besprochen. Wir ver- und entliebten uns, wir verbrachten gerne Zeit in dieser Welt und nicht zuletzt fragten wir uns: Was macht denn eigentlich Robert De Niro in dem Film? Louis? Louis?! Lou-is?!

Vorgeplänkel

Feedback zu den Folgen zu Prometheus und Alien ♦ Dennis durchlief den spätfilmschen Proustfragebogen

Die Eckdaten zu Jackie Brown

Erscheinungsjahr: 1997
Regie: Quentin Tarantino
– Filmographie (als Schauspieler/Auswahl):
1988
Golden Girls (eine Folge)
1992 Reservoir Dogs
1994 Pulp Fiction
1995 Desperado
1995 Four Rooms
1996 From Dusk Till Dawn
1997 Jackie Brown (auf dem Anrufbeantworter)
2000 Little Nicky (Adam-Sandler-Film o.O)
2002-2004 mehrere Folgen der Serie Alias
2004 Kill Bill 2 (Voice Over)
2005 Muppets: Der Zauberer von Oz
2007 Death Proof (Warren)
2009 Inglourious Basterds (1. skalpierter Nazi/ein Soldat in „Stolz der Nation“)
2012 Django Unchained
2014 Broadway Therapy von Peter Bogdanovich
2015 The Hateful Eight (Voice Over)

KameraGuillermo Navarro
Schnitt: Sally Menke
Budget: 12 Mio $
BesetzungPam Grier (Jackie), Robert De Niro (Louis), Samuel L. Jackson (Ordell),  Bridget Fonda (Melanie),  Michael Keaton (Ray Nicolette),  Robert Forster (Max), Chris Tucker (Beaumont)
Genre: Blaxploitation, Heist-Movie, Drama, Gangster-Thriller, Liebesfilm, Hangout-Movie

Die Produktion von Jackie Brown

Als Tarantino 15 Jahre alt war, stahl er in einem Geschäft eine Taschenbuchausgabe von Elmore Leonards The Switch. Un dem schon Ordell und Louis vorkamen. Tarantino sagte einmal, dass Ordell, das ist, was aus ihm selbst geworden wäre, wenn er keine künstlerischen Ambitionen gehabt hätte. Mit 17 Jahren hätte er ein krummes Ding nach dem anderen am Laufen und nur sein Plan, Schauspieler zu werden, brachte ihn von der schiefen Bahn ab.

Nach dem Erfolg von Pulp Fiction bekam Tarantino von Miramax alle Freiheiten, die er sich wünschen konnte. Alle warteten darauf, dass er die nächste Gangsterkomödie schreibt. Tarantino ließ sich viel Zeit und entschied sich dann,  eine Geschichte von Leonard adaptieren, um mit den Erwartungen zu brechen. Er und Roger Avary erwarben die Rechte an drei von Leonards Büchern, um zu überlegen, welches davon er auf die Leinwand bringen wollte:  Rum Punch, Freaky Deaky und Killshot. Als Tarantino dann Rum Punch las, wusste er sofort, dass dies das Buch war, das er verfilmen wollte. Später sagte er dazu

“When I read the book, I saw the entire movie in my head.”

Insbesondere die Charaktere mochte Tarantino:

“I liked their age. I liked the fact that this is an older movie, that we’re dealing with more mature people … I liked the fact that there was a wonderful desperation about these people, due to their age and their place in the scheme of things.”

Pam Grier war schon beim Casting von Pulp Fiction gewesen. Sie hatte für die Rolle von Jody, der Frau des Dealers Lance vorgesprochen. Aber Tarantino – obwohl er ein großer Fan von ihr war – entschied sich gegen sie, weil er meinte, dass es Unglaubwürdig wäre, wenn Eric Stoltz (Lance) sie rumkommandierte.

Als Tarantino dann Jackie Brown anfing zu adaptieren, schrieb er Pam Grier die Rolle auf den Leib. Unter anderem änderte er dafür die Hautfarbe der Protagonistin. In der Romanvorlage war sie weiß.  Auch der Name ist eine Referenz an den Film Foxy Brown (1974) mit Grier in der Hauptrolle. Tarantino begegnete Grier während des Schreibens eines Tages zufällig auf der Straße und erzählte ihr von dem Drehbuch, aber sie glaubte ihm kein Wort. Als Grier dann zum Vorsprechen eingeladen wurde und in Tarantinos Haus kam, hingen dort überall ihre alten Filmplakate und sie fragte den Regisseur:

„Did you put these up because I was coming over?“

Tarantino antwortete:

„No. I was gonna take them down because you were coming over!“

Kurz vor Drehbeginn sprach Tarantino noch einmal mit dem Romanautor Elmore Leonard. Er hatte Angst, Leonard, wäre sauer wegen der vielen Änderungen, die Tarantino vorgenommen hatte. Aber der Buchautor antwortete nur:

“Why? Because you’ve changed the title and you’re starring a black woman in the lead? Do what you want. You’re the filmmaker, you’re going to do what you want anyway.”

Als Leonard das Drehbuch las, nannte er es dann die beste Adaption von allen seinen Büchern.

Der alberne Bart und das lange Haar von Ordell waren übrigens die Idee von Samuel L. Jackson. Außerdem konnte Jackson seine Szenen nur am Wochenende drehen, weil er unter der Woche den Film Sphere (1998) drehte.

Filmisches Erzählen in Jackie Brown

folgt …

Eastereggs & Tarantinos Universum

  • Auf dem Höhepunkt ihres Heists steigt Jackie in einen schwarzen Anzug. Damit trägt sie dann wieder die Uniform der professionellen Gangster aus Reservoir Dogs und Pulp Fiction.
  • Das Video “Chicks With Guns”, das sich Ordell und Louis angucken war laut Tarantinos Aussage ein ironischer Kommentar auf die konservative Kritik, dass seine Filme „Violence Porn“ sind.

Hier noch einmal das im Podcast angesprochene Interview zu Kill Bill:

Youtube

  • Jackie isst einen Snack von Teriyaki Donut. In Pulp Fiction hat Marsellus Wallace dort eingekauft, bevor er von Butch überfahren wird.
  • In der ersten Einkaufszentrum-Szene verlässt Max Cherry einen Kinosaal. Im Hintergrund läuft die Abspannmelodie des Films – es ist die des Abspanns aus Jackie Brown.
  • Michael Keaton spielt in Steven Soderberghs Film Out of Sight erneut den Polizisten Ray Nicolette
  • Jackie fährt einen weißen Honda Civic (Baujahr 1980). Es ist das gleiche Auto, das Butchs Freundin in Pulp Fiction besitzt, mit dem Butch Marsellus Wallace überfährt.
  • Das Restaurant Acuña Boys ist zu sehen, es wird wieder in Death Proof auftauchen. Außerdem spielt Robert Rodriguez‚ Film El Mariachi in der Stadt Acuna und in Kill Bill: Volume 2 ist Bills Ziehvater Esteban Vihaio der Anführer der Gang Acuña Boys.

Zitate & Referenzen

  • In Jackie Brown taucht natürlich auch wieder Tarantinos Markenzeichen der Trunk-Shot auf. Dieser ist auch ein filmisches Zitat. Er tauchte erstmals in He Walked by Night (1948) auf.
  • Erneut wird Rashomon (1950) referenziert, wenn der Heist aus drei verschiedenen Perspektiven gezeigt wird.
  • Den Heist aus verschiedenen Perspektiven hat auch Kubrick schon in The Killing (1956) gezeigt.
  • Die Eröffnungszene zitiert The Graduate (1967)
  • Als Jackie Brown ins Gefängnis kommt, läuft dazu das Lied Longtime Woman. Pam Grier sang das Lied in The Big Doll House (1971) als die Hauptfigur inhaftiert wurde.
  • In der Mall läuft der Score von Coffy (1973), ebenfalls ein Blaxpoitation-Film mit Pam Grier.
  • Die Schrift des Titels ist die gleiche wie bei Foxy Brown (1974).
  • Melanie schaut sich einmal Dirty Mary Crazy Larry (1974) an. In dem Film spiel Peter Fonda mit – Bridget Fondas Vater.

Die Rezeption von Jackie Brown

Jackie Brown spielte weltweit fast 75 Mio $ ein. (12 Mio $ Budget). Absurderweise galt der Film nach dem Megaerfolg von Pulp Fiction (214 Mio $) als Enttäuschung. Jackie Brown ist bis heute der einzige adaptierte Film von Tarantino.

Die Veröffentlichung des Films löste einen öffentlichen Streit zwischen Tarantino und Regisseur Spike Lee aus. Lee regte sich über Tarantinos Verwendung des „N“-Worts in Pulp Fiction und Jackie Brown auf auf. Lee, ein sehr politischer Regisseur, der sich in vielen seiner Filmen für die Bürgerrechtsbewegung stark macht. Vertrat den Standpunkt, dass es eine historische Errungenschaft ist, dass nur Schwarze das „N“-Wort sagen dürfen und warf Tarantino vor, er strebe einen “honorary black man status“ an. Lee sagte:

„I want Quentin to know that all African-Americans do not think that word is trendy or slick.“

… und forderte Tarantino auf, in seinen zukünftigen Filmen darauf zu verzichten. Samuel L- Jackson und Prouzent Harvey Weinstein versuchten, zwischen Lee und Tarantino zu vermitteln, aber Tarantino sah nicht ein, seine Sprache zu ändern. Sein Standpunkt war, dass kein Wort so viel Macht haben sollte, dass es verbannt werden muss. Lee wiederum weigerte sich, direkt mit Tarantino zu sprechen.

Jackie Brown ist Samuel L. Jacksons Lieblingsfilm von Quentin Tarantino:

Youtube

Wie schon erwähnt hatte  Michael Keaton als Ray Nicolette einen kleinen Auftritt in Steven Soderberghs Out of Sight. Dazu wäre es fast nicht gekommen, da durch Jackie Brown die Rechte an dem Charakter bei Miramax lagen, während Out of Sight eine Universal-Produktion war. Aber Tarantino bestand darauf, dass der Charakter in Out of Sight auftreten darf, ohne dass Miramax dafür Lizenzgebühren verlangt und das Studio willigte ein.

2016 gab es ja unter dem Hashtag #OscarsSoWhite Proteste dagegen, dass die Academy keinen einzigen nicht-weißen Schauspiler nominiert hatte. Aber bereits zu Jackie Brown gab es einen solchen Whitewashing-Skandal bei den Oscars. Alle hatten erwartet, dass Pam Grier für ihre Rolle nominiert wird, aber die Academy überging sie genau wie Samuel L. Jackson. Robert Forster hingegen wurde nominiert. Tarantino sagte dazu:

“Pam and Sam didn’t get nominated for an Oscar, and Robert did. And I was shocked by that. I was really surprised. And it was weird because I was really happy that Robert got nominated for an Oscar, but I was like really sad that Pam didn’t get nominated … I really wanted Pam to be the first black actress to ever win an Academy Award [for Best Actress].”

Preise & Bestenlisten

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