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1903 – The Great Train Robbery

Was für ein Quantensprung! The Great Train Robbery von Edwin S. Porter ist zurecht berühmt. Nach der ganzen Pappe, die Méliès angschleppt hatte, wirkt der erste Western erfrischend realistisch. Nun gut, bis auf die Sterbeszenen: Offenbar muss jeder Mensch, der erschossen wird noch einmal die Arme in Höhe reißen, bevor er zu Boden sinken darf …

Der Film zeigt den titelgebenden Zugüberfall in 14 Szenen. Schneidet in einer Parallelmontage zwischen Orten hin und her und mischt gebaute Kulissen mit Originalschauplätzen. Wir bekommen versteckte Schnitte und eine Verfolgungsjagd zu sehen. Kurz: Wir sehen einen Film, der schon sehr viel näher an unseren heutigen Sehgewohnheiten ist, als alles, was ich bislang in dieser Reihe gesichtet habe. Besonders schön fand ich, wie die Verbindung zwischen der ersten und der zweiten Szene hergestellt wird, indem wir in Szene Eins den Zug hinter dem Fenster der Bahnstation sich bewegen sehen und diese Bewegung nach dem Schnitt aufgenommen wird, indem wir dann den Zug leinwandfüllend sehen, wie er zum Stehen kommt. Ich vermute, dass die Szene mit einer Leinwand hinter dem Fenster gedreht wurde.

Der Film etablierte zudem einige Tropes, die den Western und den gesamten Film prägten. Zum Beispiel das Bullet Dancing und das Durchbrechen der vierten Wand. Letzteres kommt daher in Form eines Schusses durch die Leinwand. Es ist quasi die Vorlage zu James Bonds Gunbarrel. Dass die Zuschauer dabei in Panik gerieten, dürfte ebenso ins Reich der Legenden gehören wie jene Panik beim Zug der Lumières.

Der Film wurde zum ersten Blockbuster, dem größten Erfolg der Edison-Studios und zum erfolgreichsten Film aller Zeiten bis 1915 The Birth of a Nation ihn ablösen sollte. Der Film hatte, wie gesagt, einen großen Impact auf die Filmentwicklung und neben der Gunbarrel zitiert ihn auch Scorseses Goodfellas mit dem Schuss durch die Leinwand als letzter Einstellung.

 

https://www.youtube.com/watch?v=8oTdPklBE0Y

1902 – Le voyage dans la lune

Was machte eigentlich Méliès im Jahr 1902? Seinen wohl berühmtesten Film: Le voyage dans la lune. Die Reise zum Mond ist zugleich einer der ersten Sience-Fiction-Filme, ein Genre, dem ich mich hier immer mal wieder widmen will, weil ich viel Spaß daran habe.

Der Film ist wesentlich klarer und verständlicher erzählt, als die ersten beiden Exemplare (hier und hier) aus der Linse von Georges Méliès, der auch die Hauptrolle Professor Barbenfouillis spielt. Dennoch bleibt es ein Werk im klassischen Méliès-Stil mit Pappkulissen und Schablonen, und dieser Stil gefällt mir nicht so wirklich. Der gelernte Zauberkünstler Méliès kann sich auch nicht seine Trick-Schnitte verkneifen, so zum Beispiel ganz am Anfang, wenn die Astronomen noch über dem Plan beraten und sich ihre Teleskope vollkommen sinnfrei in Hocker verwandeln.

Gut gefiel mir allerdings die Mondlandung, die einmal aus der Totalen geziegt wird, bei der die Rakete im Auge des Mondgesichts landet und dann noch einmal in einer Einstellung der Mondoberfläche, in der wir auch sehen, wie die Astronomen der Rakete entsteigen. Doch an der Stelle beginnt der Film erzählerisch wieder wirr zu werden, wenngleich nicht ganz so wirr wie Cendrillon:

Zunächst verschwindet das Raumschiff mit einem Schnitt. Warum? Das wird uns nicht offenbart. Dann legen sich die Astronomen erst einmal schlafen: Ist ja auch logisch – so eine Reise zum Mond ist anstrengend. Während sie schlafen zeigt sich allerdings eine Menge lebendigs Sternen-Zeuch am Himmel, ohne dass dies für die Handlung wirklich Sinn macht. Schließlich fängt es an zu schneien und die Astronomen fliehen in eine Höhle. Dort begegnen sie Mondbewohnern. Die ersten beiden dieser Mondwesen erschlagen die Astronomen daraufhin komplett motivationslos. Es besteht keine Bedrohung oder so … Sie werden einfach kaltblütig ermordet. Warum? Keine Ahnung!

Jedenfalls werden die Astronomen daraufhin ganz zurecht von der Armee der Mondbewohner gefangengenommen. Allerdings können sie ich wieder befreien, erschlagen auch noch den Mondkönig und fliehen. Sie kommen zurück zu ihrem Raumschiff, das praktischerweise am Rand des Mond liegt, so gestaltet sich der Rückflug leicht, die Rakete muss ja nur zur Erde fallen! Am Ende bekommen sie einen triumphalen Empfang bereitet und führen noch einen gefangenen Mondbewohner vor, wie es die römischen Kriegsherren mit den erbeuteten Sklaven taten.

Der Film ist eine sehr merkwürdige Mischung aus moderner Inszenierung und Thematisierung, die aber vollkommen naiv und unempathisch durchgeführt wird. Dennoch war es wohl der erste Film, der wirklich oft von anderen Filmen zitiert wurde, unter anderem in den Filmen Moulin Rouge von Buz Luhrmann oder in Scorseses Hugo Cabret und dem Musikvideo zu Tonight, Tonight von den Smashing Pumpkins, bei dem Jonathan Dayton and Valerie Faris Regie führten.