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1927 – Berlin: Die Sinfonie der Großstadt

Mit Berlin: Die Sinfonie der Großstadt von Walther Ruttmann verabschiede ich mich aus Deutschland und von seiner goldenen Generation. Außerdem ist dies, wenn ich das richtig sehe, für lange Zeit der letzte Dokumentarfilm auf meiner Liste. Als Dokumentation drängt sich natürlich der Vergleich mit dem nur etwas älteren Häxan auf. Und wo Häxan mit Texttafelorgien einem Buch auf der Leinwand glich, da geht Die Sinfonie der Großstadt den entgegengesetzten Weg: Wir bekommen einen Tag in Berlin gezeigt (muss ich extra erwähnen, dass es auf der Produktionsebene natürlich nicht wirklich nur ein Tag war?) und das geschieht komplett ohne Sprache.

Das funktioniert erstaunlich gut, was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass Ruttmann sich so Größen wie Carl Mayer (Das Cabinet des Dr. Caligari, Der letzte Mann) für Drehbuch und Karl Freund (Metropolis, Der letzte Mann) für Drehbuch und Kamera ins Boot holte. Walther Ruttmann selbst verkam übrigens später zum Propaganda-Regisseur der übelsten Sorte und Schuf so Schund wie Blut und Boden und Deutsche Panzer für die Nazis.

Der Film beginnt mit einem filmischen Zitat, nämlich mit der gleichen Einstellung wie Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat. Was mir dann ins Auge stach, war, dass der Anfang und später auch der dramatische Höhepunkt extrem schnell geschnitten sind. Eine so hohe Schnittfrequenz war mir auf dieser Reise noch nicht begegnet. Besonders beim erwähnten Höhepunkt, einem Unwetter und zeitgleichem Suizid einer Frau, die in die Spree springt, wird die Dramatik dadurch zugespitzt, dass die Schnittfrequenz bis zum Knall sukzessiv erhöht wird und danach durch vergleichsweise lange Einstellungen kontrastiert wird.

Doch noch einmal zurück zum Anfang. Der Film beginnt damit, dass wir mit dem Zug nach Berlin hineinfahren und dabei beobachten können, wie die ländliche Idylle Brandenburgs mit jedem Frame urbaner wird. Zugleich sehen wir ein Hauptthema des Films, denn er scheint die Großstadt vor allem durch Bewegung zu definieren, was ich sehr gelungen finde. Dies macht er immer wieder mit schönen Trackingshots.

Der Film ist als Zeitdokument durchaus sehenswert und zwar sowohl dadurch, dass er zeigt, was sich alles verändert hat, als auch dadurch dass er zeigt was heute noch genauso ist wie damals. Bilder von Pendlern und Großbäckereien oder der Kontrast zwischen sehr reichen und sehr armen Menschen ließen sich auch heute noch in Berlin aufnehmen.

Apropos Kontrast: Mit sich kontrastierenden Bildern zu arbeiten ist das nächste Stilmittel, dass Ruttmann einsetzt: Wir sehen nicht nur Arme und Reiche, sondern auch Autos und Pferde oder Festessen und Menschen die im Müll nach Nahrung suchen. Auch dieses Element funktioniert recht gut. Im Gegensatz zum dritten: dem assoziativen Schnitt. Ruttmann schneidet immer wieder isolierte Bilder von Tieren um uns mit Holzhammermetaphern seine Weltsicht einzuprügeln. Da werden Pendler mit einer Kuhherde assoziiert, telefonierende Männer mit kläffenden Hunden, die Frauen in der Telefonzentrale hingegen mit dressierten Affen, die Arbeiter in der Mittagskantine mit Löwen und die Menschen, die sich Essen auf der Straße holen erneut mit Affen. Das ist so plump, dass es einfach nur nervt. Lasst mich doch bitte selbst denken!

Ganz freimachen kann sich diese Dokumentation übrigens nicht vom Expressionismus. Die schon erwähnte Suizid-Szene schreit ihn gewissermaßen in die Welt hinaus. Ansonsten fand ich faszinierend, dass die Automatisierung – zumindest in Ruttmanns Darstellung – die Welt vor 90 Jahren genauso dominierte wie die Digitalisierung unsere Zeit. Spannend ist ferner, wie wir im 5. Akt, der das Berliner Nachtleben zeigt, in einem kurzen Take ein Kino von innen sehen und dort auf einenm Teil der Leinwand nur zwei übergroße watschelnd Schuhe und einen Spazierstock. Und dass dieses kleine Bild ausreicht, um zu zeigen, was für ein Film dort läuft. Außerdem fand ich noch die nächtlichen Außenaufnahmen spannend, in denen wir obendrein noch Mehrfachbelichtungen von Leuchtreklame sehen. Das ist nicht bloß ein ikonisches Bild für städtisches Nachtleben geworden, sondern ist auch eine technische Meisterleistung im Jahr 1927.

1920 – Das Cabinet des Dr. Caligari

Läuten wir die wilden 20er ein und werfen einen Blick auf den wohl berühmtesten Vertreter des Deutschen Expressionismus: Das Cabinet des Dr. Caligari von Robert Wiene.

Caligari ist … ist … ist einfach nur wow! Der Film ist so krass gut, dass mir ein wenig die Worte fehlen. Wenn ihr an Filme denkt wie Der Pate, Star Wars, Matrix, Der Herr der Ringe oder selbst Avatar, dann denkt ihr sicher auch daran, dass diese Filme einen eigenen, distinkten Look haben, einen konsistenten Stil, der sie von den meisten der anderen abertausend Filmen, die jährlich erscheinen, unterscheident. Und wer hat das erfunden? Robert Wiene! Mit Das Cabinet des Dr. Caligari erschuf er einen eigenen Stil, den Caligarismus, der so besonders ist, dass man den Film an einem einzelnen Frame sofort erkennen kann.

Screenshot aus Das Cabinet des Dr. Caligari. Lizenz: gemeinfrei.

Screenshot aus Das Cabinet des Dr. Caligari. Lizenz: gemeinfrei.

Aber das ist noch längst nicht alles. Das wirklich gute Drehbuch von Hans Janowitz and Carl Mayer schenkte dem Kino den unzuverlässigen Erzähler und den Twist. Filme wie Fight Club, The Sixth Sense und nicht zuletzt Shutter Island wären ohne Caligari nicht denkbar.

Neben diesen beiden Hammer-Innovationen hat er unzählige kleine anzubieten: Der Film ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, dies kannten wir bis dahin noch nicht. Selbst die Texttafeln sind im Stil des Caligarismus gehalten, aber damit noch nicht genug, gegen Ende des Films bricht er dann sogar mit der strikten Trennung zwischen Filmhandlung und Texttafel und zeigt uns erstmals Text im Bild, so wie es noch heute Standard ist. Caligari kombiniert die beiden Methoden aus The Birth of a Nation um einen Fokus zu setzen oder zu wechseln. So wird beispielsweise in der Jahrmarktszene das Bild bis auf einen Kreisausschnitt schwarz maskiert, um den Fokus zu setzen und dieser Ausschnitt wird dann aufgezogen, sodass wir das ganze Bild sehen und unsere Aufmerksamkeit auf einen anderen Bereich des Frames gelenkt wird. Diese Maske tritt auch nicht bloß als Kreis auf, sondern zum Beispiel als Raute und die Kreisblende setzt Wiene ebenfalls äußerst kreativ ein, indem sie sich beispielsweise in der Linken unteren Ecke des Bildes schließt, während sich rechts oben bereits die neue Szene öffnet. Auch wurde einmal schön die Viragierung verwendet, um das Einschalten von Licht zu symbolisieren. Im Moment, da der Schalter umgelegt wird, wechselt der Farbton von blau zu gelb.

Vor allem aber sieht man, welch enormen Einfluss der Film hatte, das fängt bei den Handschuhen des Dr. Caligari an, die offensichtlich Walt Disney als Vorlage für die von Mickey Mouse dienten und hört beim Schatten als Vorboten des Bösen, den wir eigentlich immer mit Nosferatu verbinden, noch lange nicht auf.

Doch auch der Film selbst nahm sich ein Vorbild an seinen Vorgängern: Der Sonambule scheint mir Frankensteins Monster zu referenzieren, ob bewusst oder unbewusst, vielleicht auch über den Umweg des uns verlorenen Films Der Golem. In Alans Todesszene sehen wir auf jeden Fall wieder den Trope des Offscreen-Schreckens aus Frankenstein, den er dann wiederum weiter ausbaut, indem der Mord an Alan nur als Schattenspiel zu sehen ist, was in späteren Filmen hundertfach zitiert wurde und zugleich erinnert der messerstechende Schatten stark an die Duschszene aus Psycho.

Screenshot aus Das Cabinet des Dr. Caligari. Lizenz: gemeinfrei.

Screenshot aus Das Cabinet des Dr. Caligari. Lizenz: gemeinfrei.

Ach, der Film setzt so viele Tropes, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann, nennen möchte ich aber auf alle Fälle noch den Trittbrettfahrer, der uns im Thriller noch ungezählte Male über den Weg laufen wird und die Irrenanstalt als Szenerie eines Horrorfilms.

Wenn ich eine kleine Kritik üben darf, dann gilt sie der „Prophezeiung“ des Somnambulen, der Alan voraussagt, dass er im Morgengrauen sterben wird. Ich an Alans Stelle hätte das nicht als Prophezeiung aufgefasst, sondern als die handfeste Morddrohung, als die es sich dann ja auch entpuppt, und wäre gleich zu Polizei gegangen. Ein mittelschweres Plotloch.

Dennoch ist der Film ein Meisterwerk und Meilenstein. Daher wurde er 1933 natürlich auch in Deutschland verboten und 1937 zum Bestandteil der Ausstellung „entartete Kunst“ gemacht. Und die Drehbuchautoren sowie der Regisseur folgten dem großen Brain Drain ins Exil der das Ende des goldenen Zeitalter des deutschen Films bedeutete …