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1920 – Das Cabinet des Dr. Caligari

Läuten wir die wilden 20er ein und werfen einen Blick auf den wohl berühmtesten Vertreter des Deutschen Expressionismus: Das Cabinet des Dr. Caligari von Robert Wiene.

Caligari ist … ist … ist einfach nur wow! Der Film ist so krass gut, dass mir ein wenig die Worte fehlen. Wenn ihr an Filme denkt wie Der Pate, Star Wars, Matrix, Der Herr der Ringe oder selbst Avatar, dann denkt ihr sicher auch daran, dass diese Filme einen eigenen, distinkten Look haben, einen konsistenten Stil, der sie von den meisten der anderen abertausend Filmen, die jährlich erscheinen, unterscheident. Und wer hat das erfunden? Robert Wiene! Mit Das Cabinet des Dr. Caligari erschuf er einen eigenen Stil, den Caligarismus, der so besonders ist, dass man den Film an einem einzelnen Frame sofort erkennen kann.

Screenshot aus Das Cabinet des Dr. Caligari. Lizenz: gemeinfrei.

Screenshot aus Das Cabinet des Dr. Caligari. Lizenz: gemeinfrei.

Aber das ist noch längst nicht alles. Das wirklich gute Drehbuch von Hans Janowitz and Carl Mayer schenkte dem Kino den unzuverlässigen Erzähler und den Twist. Filme wie Fight Club, The Sixth Sense und nicht zuletzt Shutter Island wären ohne Caligari nicht denkbar.

Neben diesen beiden Hammer-Innovationen hat er unzählige kleine anzubieten: Der Film ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, dies kannten wir bis dahin noch nicht. Selbst die Texttafeln sind im Stil des Caligarismus gehalten, aber damit noch nicht genug, gegen Ende des Films bricht er dann sogar mit der strikten Trennung zwischen Filmhandlung und Texttafel und zeigt uns erstmals Text im Bild, so wie es noch heute Standard ist. Caligari kombiniert die beiden Methoden aus The Birth of a Nation um einen Fokus zu setzen oder zu wechseln. So wird beispielsweise in der Jahrmarktszene das Bild bis auf einen Kreisausschnitt schwarz maskiert, um den Fokus zu setzen und dieser Ausschnitt wird dann aufgezogen, sodass wir das ganze Bild sehen und unsere Aufmerksamkeit auf einen anderen Bereich des Frames gelenkt wird. Diese Maske tritt auch nicht bloß als Kreis auf, sondern zum Beispiel als Raute und die Kreisblende setzt Wiene ebenfalls äußerst kreativ ein, indem sie sich beispielsweise in der Linken unteren Ecke des Bildes schließt, während sich rechts oben bereits die neue Szene öffnet. Auch wurde einmal schön die Viragierung verwendet, um das Einschalten von Licht zu symbolisieren. Im Moment, da der Schalter umgelegt wird, wechselt der Farbton von blau zu gelb.

Vor allem aber sieht man, welch enormen Einfluss der Film hatte, das fängt bei den Handschuhen des Dr. Caligari an, die offensichtlich Walt Disney als Vorlage für die von Mickey Mouse dienten und hört beim Schatten als Vorboten des Bösen, den wir eigentlich immer mit Nosferatu verbinden, noch lange nicht auf.

Doch auch der Film selbst nahm sich ein Vorbild an seinen Vorgängern: Der Sonambule scheint mir Frankensteins Monster zu referenzieren, ob bewusst oder unbewusst, vielleicht auch über den Umweg des uns verlorenen Films Der Golem. In Alans Todesszene sehen wir auf jeden Fall wieder den Trope des Offscreen-Schreckens aus Frankenstein, den er dann wiederum weiter ausbaut, indem der Mord an Alan nur als Schattenspiel zu sehen ist, was in späteren Filmen hundertfach zitiert wurde und zugleich erinnert der messerstechende Schatten stark an die Duschszene aus Psycho.

Screenshot aus Das Cabinet des Dr. Caligari. Lizenz: gemeinfrei.

Screenshot aus Das Cabinet des Dr. Caligari. Lizenz: gemeinfrei.

Ach, der Film setzt so viele Tropes, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann, nennen möchte ich aber auf alle Fälle noch den Trittbrettfahrer, der uns im Thriller noch ungezählte Male über den Weg laufen wird und die Irrenanstalt als Szenerie eines Horrorfilms.

Wenn ich eine kleine Kritik üben darf, dann gilt sie der „Prophezeiung“ des Somnambulen, der Alan voraussagt, dass er im Morgengrauen sterben wird. Ich an Alans Stelle hätte das nicht als Prophezeiung aufgefasst, sondern als die handfeste Morddrohung, als die es sich dann ja auch entpuppt, und wäre gleich zu Polizei gegangen. Ein mittelschweres Plotloch.

Dennoch ist der Film ein Meisterwerk und Meilenstein. Daher wurde er 1933 natürlich auch in Deutschland verboten und 1937 zum Bestandteil der Ausstellung „entartete Kunst“ gemacht. Und die Drehbuchautoren sowie der Regisseur folgten dem großen Brain Drain ins Exil der das Ende des goldenen Zeitalter des deutschen Films bedeutete …

1910 – Frankenstein

Läuten wir die 1910er Jahre ein und damit das letzte Jahrzehnt, mit dem sich der Spätfilm bislang noch gar nicht auseinandergesetzt hat. Dabei ist es das Jahrzehnt, in dem der Film erwachsen wurde, wie Martin Scorsese es nannte – wir kommen darauf zurück. Allerdings geschieht das erst in fünf Jahren und noch nicht mit der ersten Frankenstein-Verfilmung. Regie führte bei Frankenstein James Searle Dawley, dessen Schaffen wir schon als Co-Regisseur bei Rescued from an Eagle’s Nest bewundern durften.

Leider ist die Qualität der Versionen des Films, die im Internet angeboten werden, unter aller Sau. Daher lässt sich am Anfang relativ wenig über den Stil des Films sagen. So wird zum Beispiel einiges an Tricktechnik bei der Erschaffung des Monsters aufgefahren, aber es ist schlichtweg nicht zu erkennen, was genau wir da eigentlich sehen. Klar ist hingegen, dass die Texttafeln nun endgültig etabliert sind. Der Film benutzt sie fast schon inflationär. Erneut taucht auch ein Brief als Texttafel auf.

Ich kenne die Originalgeschichte nicht, aber ich dachte immer, dass Frakensteins Monster eine tragische Figur ist, die mit ihrem Schicksal hadert und erst dadurch böse wird. Hier heißt es hingegen auf der Texttafel ganz lapidar, dass das Böse in Frankensteins Geist das Monster erschafft.

Ansonsten beginnt der Film sehr konservativ gefilmt, So dauert es bis Minute 5, bis wir den ersten bemerkenswerten Shot zu sehen bekommen. Hier etabliert er den Trope, dass der Schrecken nicht zu sehen ist. Nach der Erschaffung des Monsters sehen wir nur Frankenstein, der entsetzt auf etwas außerhalb des Bildes blickt sowie einen Arm vom Monster. Erst 30 Sekunden später bekommen wir einen ersten Blick auf das Monster. Bei einem 12-Minuten-Film ist das eine Ewigkeit.

In Minute 7 sehen wir dann einen schönen und auch den ersten mir untergekommenen Einsatz eines Spiegels in der Mise en Scène, der auch im Finale noch einmal für einen schönen Effekt eingesetzt wird. Insgesamt ist die Geschichte aber verworren und bricht, da sie es nicht schafft bildlich zu erzählen, mit Show, don’t Tell, indem sie uns auf einer Texttafel schildern muss, wie das Monster besiegt wird. Auch die Ikonographie des Monsters weicht noch stark von dem ab, was sich später als Kanon etabliert hat. So hat der Film eher einen historischen als einen filmischen Wert.