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1903 – The Great Train Robbery

Was für ein Quantensprung! The Great Train Robbery von Edwin S. Porter ist zurecht berühmt. Nach der ganzen Pappe, die Méliès angschleppt hatte, wirkt der erste Western erfrischend realistisch. Nun gut, bis auf die Sterbeszenen: Offenbar muss jeder Mensch, der erschossen wird noch einmal die Arme in Höhe reißen, bevor er zu Boden sinken darf …

Der Film zeigt den titelgebenden Zugüberfall in 14 Szenen. Schneidet in einer Parallelmontage zwischen Orten hin und her und mischt gebaute Kulissen mit Originalschauplätzen. Wir bekommen versteckte Schnitte und eine Verfolgungsjagd zu sehen. Kurz: Wir sehen einen Film, der schon sehr viel näher an unseren heutigen Sehgewohnheiten ist, als alles, was ich bislang in dieser Reihe gesichtet habe. Besonders schön fand ich, wie die Verbindung zwischen der ersten und der zweiten Szene hergestellt wird, indem wir in Szene Eins den Zug hinter dem Fenster der Bahnstation sich bewegen sehen und diese Bewegung nach dem Schnitt aufgenommen wird, indem wir dann den Zug leinwandfüllend sehen, wie er zum Stehen kommt. Ich vermute, dass die Szene mit einer Leinwand hinter dem Fenster gedreht wurde.

Der Film etablierte zudem einige Tropes, die den Western und den gesamten Film prägten. Zum Beispiel das Bullet Dancing und das Durchbrechen der vierten Wand. Letzteres kommt daher in Form eines Schusses durch die Leinwand. Es ist quasi die Vorlage zu James Bonds Gunbarrel. Dass die Zuschauer dabei in Panik gerieten, dürfte ebenso ins Reich der Legenden gehören wie jene Panik beim Zug der Lumières.

Der Film wurde zum ersten Blockbuster, dem größten Erfolg der Edison-Studios und zum erfolgreichsten Film aller Zeiten bis 1915 The Birth of a Nation ihn ablösen sollte. Der Film hatte, wie gesagt, einen großen Impact auf die Filmentwicklung und neben der Gunbarrel zitiert ihn auch Scorseses Goodfellas mit dem Schuss durch die Leinwand als letzter Einstellung.

 

1896 – Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat

EDIT am 30.6.2015: Ich hatte den Film ursprünglich 1897 zugeordnet, wurde aber aufgeklärt, dass er schon 1896 erschien. Siehe Kommentare.

Ich schaue mich einmal durch die Filmgeschichte. Die Liste der Filme, die da kommen werden, könnt ihr übrigens hier bewundern. Meine selbstgestellte Bedingung war, dass ich den Film des jeweiligen noch nicht gesehen habe. Was mich vor allem in den 1990ern vor einige Probleme stellte. Ansonsten habe ich mir Mühe gegeben, einen schönen Genremix zu erzeugen und echte Klassiker mit schönem Trash zu durchsetzen.

Zum letzten Teil dieser Reihe hatte xtc123 übrigens eine feine Ergänzung. Eine Podcastfolge des Explikators, in der die Urheberrechtsverwirrungen der frühen Tage des Films thematisiert werden und welche Rolle Edison dabei spielte.

Aber jetzt kommen wir endlich zum Jahr 1897 1896 und dem zweiten Meilenstein der Lumières: Arrivée d’un train à La Ciotat. An diesem Film ist zweierlei bermekenswert:

Zum einen die Anekdote, dass die Menschen vor der Leinwand flüchteten, da sie dachten, ein Zug würde wirklich auf sie zufahren. So schön das klingt, so ist es dennoch bloß eine urbane Legende. Dieser Mythos beruht auf der Fehlannahme, dass der Film 1895 aus dem Nichts entstanden sei. Aber das stimmt ja nicht. Lediglich die Kamera war technisch vollendet. Die bewegten Bilder waren für das damalige Publikum ein alter Hut. Wenn ihr mehr wissen wollt, googelt mal „Laterna Magica“ oder besucht noch besser das Deutsche Filmmuseum hier in Frankfurt.

Das andere Bemerkenswerte an dem Film ist, dass er ein schönes Zeitzeugnis für die Stilmittel der frühen Filme war: Die Kamera war ja noch komplett statisch. Dieses Defizit wurde dadurch ausgeglichen, dass die Dynamik ins Bild gelegt wurde. Wir hatten das mal ganz kurz in Nosferatu angerissen. Aber von allen ganz alten Filmen, die ich bislang gesehen habe macht dies wohl Panzerkreuzer Potemkin am besten, wo ständig irgend etwas von links nach rechts oder von vorne nach hinten durchs Bild saust.

Im Gegensatz zu Letterboxd sagt YouTube übrigens, dass der Film aus 1895 stammt:

Allerdings ist zumindest die Musik wohl nicht ganz authentisch …