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SF69 – The Diary of a Teenage Girl (Regisseurinnen-Reihe)

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Paula
Not a Teenage Girl
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Daniel
Not a Predator


Everybody wants to be touched

Wir sprachen über Sex! Sex, Sex, Sex … ein bisschen Liebe, aber vor allem über ganz viel Sex! Im Tagebuch eines Teenager-Mädchens fanden wir zwar kein Podcast-Gold, aber das Ende der Welt, Detektive im Erlebnisbad, uns woanders, 85 Drehbuchentwürfe, eine Schule bei Nacht, Charakterbögen, den Großen Preis in der Kategorie Generation 14plus, Seth Rogens Kamera und natürlich jede Menge Sex.

Vorgeplänkel

Paula: „Unsere begehrten Top 20 sind fast so wie das erste traditionelle Straßenfest.“ ♦ Rico, Oskar und der Diebstahlstein ♦ The Oracle of Bacon ♦ Der Explikator zu den Hintergünden des Orakels von Bacon ♦ Unsere Folge zu Witness for the Prosecution ♦ Unsere Kritik von Frankenstein (1910) ♦ Flat Earth Believers ♦ Wir.Müssen Reden über die flache Erde ♦ Harmontown über die flache Erde ♦ Ockhams Rasiermesser ♦ Chemtrails ♦ Daniel bei der Second Unit zu Her ♦ Paula und Daniel im Enough Talk zum künstlichen Menschen ♦ Abstimmung, welchen Anime-Film wir sehen sollen

Die Eckdaten zu The Diary of a Teenage Girl

Erscheinungsjahr: 2015
Regie: Marielle Heller
– Filmographie:
2015 The Diary of a Teenage Girl
2015 eine Folge von Transparent
2016 zwei Folgen von Casual
Angekündigt: The Case Against 8
Budget: 2 Millionen $ WOW!
Besetzung: Bel Powley (Minnie), Kristen Wiig (Charlotte), Alexander Skarsgård (Monroe)
Genre: Coming of Age, Period Pic

Die Produktion von The Diary of a Teenage Girl

Das Drehbuch

Der Film ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Phoebe Gloeckner. Bereits in den 00ern bekam Gloeckner einmal ein Angebot, das Buch zu verfilmen. Allerdings wollte das Studio damals ein Hollywood-Happy-End dranklatschen, in dem Minnie und Monroe heiraten (Diese Idee wird im Film sogar aufgegriffen und führt zu Minnies Tiefpunkt).

Marielle Heller bekam Diary 2007 von ihrer jüngeren Schwester zu Weihnachten geschenkt. Heller war fasziniert davon, wie selbstbewusst Minnie in dem Buch ihre Sexualität auslebt und wollte das Buch als Theaterstück adaptieren, weil es nichts vergleichbares im Coming-of-Age-Genre gab.

Marielle Heller bequatschte daraufhin Phoebe Gloeckner 10 Monate lang, um sie davon zu überzeugen, ihr die Rechte an dem Roman zu geben. Im Theaterstück spielte sie selbst Minnie. Das Stück hatte auch bereits multimediale Element, eine Idee, die sie später im Film wieder aufgreifen sollte. Es war eine sehr kleine Produktion (off off Broadway) in San Franzisko. Die erfolgreiche Theaterproduktion überzeugte Gloeckner, Heller dann auch die Rechte für den Film zu geben. Marielle Hellers Produzentin Anne Carey brachte sie 2012 dazu, sich mit dem Drehbuch beim „Sundance writer and director workshop“ – einem Workshop des Sundance Festivals – zu bewerben. Heller hatte das Drehbuch schon fertiggestellt und marschierte selbstbewusst in den Workshop, was sollten die ihr noch beibringen? Am Ende schrieb sie ca. 85 verschiedene Entwürfe bis das Drehbuch letztendlich fertig war.

Das Casting

Bel Powleys Agent schickte ihr das Drehbuch zu und sie war so begeistert, dass sie sich mit einem unortodoxen Video bewarb: Sie saß darin in ihrer Unterwäsche auf dem Bett und spielte eine Szene vor. Im Anschluss sprach Powley auf dem Video Marielle Heller direkt an und erzählte ihr, wie gut sie sich mit Minnie identifizieren kann. Heller und Powley skypten daraufhin und verstanden sich so gut, dass Bel Powley die Rolle bekam.

Alexander Skarsgård wiederum erzählte in einem Interview, dass es ihm genauso ging wie Heller: Er las das Drehbuch und dachte sich, dass er so etwas noch nie gesehen hatte. Skarsgård sagte, dass 95% aller Drehbücher, die er liest, eigentlich nur Variationen von schon existierenden Geschichten sind. Diary war etwas völlig Neues und er fragte sich, warum er so einen Film noch nie gesehen hatte.

Die Dreharbeiten

Die Schulszenen von Diary of a Teenage Girl wurden in der Lincoln Middle School in Alameda, Kalifornien. Da die Schulleitung aber moralische Bedenken gegen den Inhalt des Drehbuchs anmeldete, bekam die Crew nur die Genehmigung nachts dort zu filmen. Daher drehten sie alle Szenen in der Schule in nur einer Nacht mit Flutlicht vor den Fenstern.

Im Film ist Minnie ein Fan der Comiczeichnerin Aline Kominsky. Es sind immer wieder Comicelemente im Stil von Kominsky in den Film integriert. Eine Szene, in der Minnie die Straße entlanggeht und sich mit der Comicversion von Aline Kominsky unterhält, bezeichnete Kameramann Brandon Trost als die am schwersten zu filmende des ganzen Films.

Da der Film in den 1970ern spielt, durften nur Oldtimer am Straßenrand stehen, Statisten mussten mit entsprechender Kleidung ausgestattet sein, gleichzeitig musste die Crew die Passanten zurückhalten, ohne dass sie wegen des knappen Budgets die Straße großräumig absperren konnten. Das alles sollte während des Sonnenuntergangs gefilmt werden, sodass sie wenig Zeit hatten. Trost musste die ganze Zeit darauf achten, dass der Straßenverkehr, Werbeplakate und Fußgänger auf der anderen Straßenseite nicht im Bild sind. Eigentlich hätte er dafür eine Steadicam gebraucht. Das die Crew sich die aber nicht leisten konnte, saß Trost für den Shot mit der Kamera auf einem „Doorway Dolly“ – einem sehr leichten Kamerawagen, ähnlich einem Bollerwagen, der gezogen wurde und filmte die Selbstgespräche führende Bel Powley.

Filmisches Erzählen in The Diary of a Teenage Girl

Minnies Charakterentwicklung

Das Video über den Unterschied zwischen Jurassic Park und Jurassic World:

Youtube

In diesem Video geht es um Charakterentwicklung und die Frage, wie verdient sind Payoff-Momente in einem Film. Während dies in Jurassic Park hervorragend gemacht wird, ist das bei Jurassic World gerade nicht der Fall.

The Diary of a Teenage Girl ist ein Film, der uns ganz hervorragend Minnies Charakterentwicklung zeigt, wodurch sich ein hervorragender Payoff-Moment ergibt. Zu Beginn erfahren wir, dass Minnie zum ersten Mal Sex hatte und meint, dass sie nun offiziell eine Frau sei. Doch dann sehen wir sie 90 Minuten lang dumme, kindliche Entscheidungen fällen. Doch am Ende gibt es eine Szene, in der sie Monroe, ihrer Affäre wiederbegegnet und das Gespräch, das beide führen, zeigt uns, dass Minnie nun, nach allem was sie erlebt hat, wirklich erwachsen geworden ist.

Das wird interessant kontrastiert mit der Szene, in der Minnie am Ende in die Arme ihrer Mutter zurückkehrt und die Mutter sich weigert, über Minnies Erfahrungen zu sprechen. Im Gegensatz zu Minnie hat die Mutter überhaupt nichts gelernt, was Minnies Entwicklung noch mehr unterstreicht.

Das Verhältnis von Liebe und sexueller Anziehung

Minnies Familiensituation wird so beschrieben, dass ihre Mutter alleinerziehend ist, Alkoholikerin, aber lebensfroh im Easy-Living-Stil der 1970er. Nichtsdestotrotz ist sie mit ihrer Erzieherinnenrolle total überfordert und vernachlässigt Minnie und ihre Schwester. Dies führt zu Minnies mangelndem Selbstvertrauen.

Minnie findet sich selbst hässlich und versucht Selbstbestätigung durch andere zu bekommen. Dabei verwechselt sie Liebe und Sex. Monroe ist nicht durch und durch ein Arsch, sein eigentlicher Missbrauch von Minnie besteht darin, dass er nicht erkennt, dass diese 15-Jährige nicht zwischen Liebe und Sex unterscheiden kann. Inszenatorisch wird dies durch eine unzuverlässige Erzählerin unterstützt: Während Minnie keine klassische Hollywood-Schönheit ist, sind alle Menschen, die sie begehrt, unwahrscheinlich attraktiv.

Kritikpunkte an Diary of a Teenage Girl

Man kann kritisieren, dass der Film es sich dadurch etwas leicht macht, dass er die Geschichte als Period Pic erzählt. So kann man das unangenehme Gefühl, dass sich aus dem Setting ergibt, in dem ein Mann sowohl mit Mutter als auch Tochter Sex hat, leicht beiseiteschieben mit: „Ach, das waren halt andere Zeiten.“

Manche Kritiker/innen mahnten an, dass der Film Missbrauch verharmlose. Paula gibt zu bedenken, dass es tatsächlich weniger problematische wäre, wenn Minnie ihre Erfahrungen nur mit Gleichaltrigen gemacht hätte. Daniel kritisiert die Kritik dahingehend, dass es nicht so ist, dass alle Männer lieb und brav sind, aber wenn sie diesen Film sehen, werden sie zu Vergewaltigern. Männer haben noch nie eine Entschuldigung gebraucht, um Frauen zu missbrauchen. Daher ist es ungerechtfertigt, einem Film einen Strick daraus zu drehen, der sich zur Aufgabe gemacht hat, als einer der ersten zu zeigen, dass Teenager-Mädchen genauso sexuell verwirrt sind wie Teenager-Jungs. Paula gibt zu bedenken, dass Monroe nicht unsympatisch dargestellt wird und vielleicht nicht jede/r merkt, dass er ein Trottel ist. Stattdessen macht zum Beispiel die Mutter immer nur Minnie Vorwürfe. Skarsgård sagte dazu im Interview:

I was really intrigued by Monroe, actually. I was thinking, How can I make this character not so predatory? Because you make it too easy for the audience if they can just dislike him for the entire movie. For me, it was about how do you find a way in without making him a creep. How do you make him weak and vulnerable, and maybe even likable?

Alexander Skarsgård im Interview

Zeigen & Urteilen

Der Film macht es den Zuschauern nicht leicht, er gibt keinen moralischen Kompass vor und sagt uns nicht, wie wir uns fühlen sollen. Er zeigt Sex zwischen einem 35-Jährigen und einer 15-Jährigen, aber er urteilt nicht darüber.

Die Kamera

Trotz des supergeringen Budgets sieht Diary richtig gut aus. Man merkt allerdings hier und da, dass Heller und Trost ein paar Tricks verwenden, um das mangelnde Geld zu verstecken. So ist der Film budgetbedingt nur mit Handkamera gedreht. Um das zu kaschieren, zeigt Trost sehr viele Close-ups. Das unterstützt einerseits sehr gut das gute Mienenspiel von Bel Powley und kann andererseits davon ablenken, dass der Film keine großartigen Kamerafahrten, Flüge oder Kranshots zeigen kann.

Dennoch gelingt es der Regisseurin und ihrem Kameramann immer wieder schön mit der Kamera zu erzählen. So geht die Kamera manchmal raus, wenn Minnie sich einsam fühlt und zeigt uns plötzlich nicht mehr ihr Gesicht bildschirmfüllend sondern sie als kleines Wesen in einem großen Raum.

Cameos, Zitate & Referenzen

  • In der Szene in der Bar, in der Minnies Mutter will, dass Minnie und Monroe heiraten, stürmt Minnie aus der Bar. Danach zeigt die Kamera noch kurz eine rauchende Frau. Das ist Phoebe Gloeckner, die Autorin.
  • In der Schule nennen zwei Mädchen Minnie „Bitch“. Es sind Gloeckners Töchter.
  • Minnies Mutter heißt Charlotte, genau wie Lolitas (1962) Mutter.

Die Rezeption von The Diary of a Teenage Girl

Der Film spielte mit 2,2 Millionen Dollar sein Budget wieder ein – ein Achtungserfolg. Und er erhielt überwiegend positive Kritiken.

Preise & Bestenlisten

Lesenwert

The End!

1926 – Faust – Eine deutsche Volkssage

Friedrich Wilhelm Murnau darf natürlich nicht fehlen, wenn ich mich durch die goldene Epoche des deutschen Films gucke. Allerdings, ach, ich muss euch sagen: so richtig warm werde ich nicht mit ihm. Vor Jahren habe ich mal Sunrise gesehen und der hat mir echt gut gefallen, aber als wir letztes Jahr im Spätfilm Nosferatu besprachen war ich eher unterweltigt. Faust – Eine deutsche Volkssage liegt nun irgendwo dazwischen. Insgesamt finde ich ihn besser als Noferatu, er zeigt schöne Shots – das kann Murnau – und baut im ersten und dritten Akt auch einiges an Spannung auf. Doch der zweite Akt wirkt wie mein Wohnzimmer, wenn meine elf Monate alte Tochter dadrin zwei Stunden gespielt hat. Aber der Reihe nach …

Faust war der letzte Film Murnaus in Deutschland, bevor ihn der Ruf aus Hollywood ereilte. Den Mephisto spiel Emil Jannings, der ebenfalls kurz darauf nach Hollywood ging, dort den ersten Oscar überhaupt für eine männliche Hauptrolle gewann und bis dato den einzigen Oscar, den ein Deutscher in dieser Kategorie ergattern konnte. Allerdings konnte sich Jannings mit Hollywood nicht arrangieren und kehrte nach Deutschland zurück, wo er sich mit den Nazis anscheinend besser arrangieren konnte. Es waren eben nicht alle Filmschaffenden Antifaschisten.

Die Handlung in fünf Sätzen

Die groben Eckdaten dürften bekannt sein, allerdings bezieht sich Murnau explizit nicht auf den Text von Goethe sondern auf den schon vom ollen Wolle adaptierten Stoff. Es beginnt mit der Wette zwischen Mephisto und dem Erzengel Michael, dass derjenige über die Erde herrschen darf, dem es gelingt, Fausts Seele zu erobern. Folglich sehen wir nun das buhlen von Mephisto um Faust. Hier fügt Murnau die erste Änderung ein, die noch gut funktioniert: Denn in Fausts Städtchen grassiert, dank Mephisto, die Pest und Mephisto ködert ihn damit, dass er ihm helfen kann, ein Heilmittel zu finden. Das gibt dem Charakter eine glaubhafte Motivation, sich überhaupt mit dem Teufel einzulassen. Leider hat Faust gewisse „Probleme“ beim Vollzug der Heilung und so bemerken Fausts Mitbürger den Pakt mit dem Teufel und wollen ihn steinigen. Jetze denkt sich der olle Faust: „Ach, was soll’s, wo ich schon mal dabei bin, kann ich auch weitermachen mit dieser Mephisto-erfüllt-mir-Wünsche-Nummer.“ und es folgt die bekannte Nummer, dass Faust wieder jung sein darf, allerdings erst einmal nur für einen Probetag.

Jetzt fängt der Film an, konfus zu werden, denn als nächstes machen Faust und Mephisto erst einmal einen Trip nach Parma. Klar, Italien fand ja schon Goethe fein, daher wollen die beiden sich das auch nicht entgehen lassen und Faust stiehlt da eine Herzogin vom Hochzeitsfest während sich Mephisto mit dem gehörnten Bräutigam duelliert. Während Faust und die Herzogin pimpern, läuft der Probetag ab und Faust so: „Egal, bleib ich halt jung und angel mir die nächste Braut.“ Was aus der Herzogin wurde, bleibt unklar. Die nächste, der Faust an die Wäsche will, ist dann natürlich Gretchen.

Es folgt eine total sinnbefreite Episode bei Gretchens Muhme Marthe, die im wesentlichen daraus besteht, dass verschiedene Leute sich gegenseitig Liebestränke einflößen und/oder sich liebestoll gegenseitig durch den Garten jagen.

Am Abend folgt dann das, was die Wikipedia „Gretchen gewährt Faust schließlich Zugang zu ihrer Kammer“ nennt, was aber in der Bildsprache eine ganz klare Vergewaltigung ist – ich werde darauf zurückkommen. Gretchens Bruder will ihre Ehre wiederherstellen und duelliert sich mit Faust, aber er stirbt und verflucht im Sterben Gretchen, die als Dirne dann an den Pranger gestellt wird.

Nach einem Zeitsprung ist es Weihnachten und wir sehen, dass die mittlerweile obdachlose Gretchen durch die Vergewaltigung schwanger wurde und ein Kind bekommen hat. Sie versucht im Maria-Style sich vor einem Schneesturm zu schützen, indem sie in der Stadt rumgeht und für sich oder wenigstens das Kind Obdach erbittet. Aber in der Stadt leben nur Arschlöcher und schließlich legt Gretchen das Kind im Fieberwahn in eine Schneewehe, die sie für eine Krippe hält. Die Stadtwache findet sie und das erfrorene Baby und ist absurderweise sofort überzeugt, dass Gretchen das Kind umgebracht hat. Gretchen kommt auf den Scheiterhaufen und ruft dort nach Faust, der sich urplötzlich daran erinnert, dass er Gretchen liebt und zur Rettung eilt. Doch Mephisto verwandelt ihn flux zum Greis zurück. Aber weil Gretchen ihn so sehr liebt, sieht sie durch die Falten hindurch ihren Lover und beide sterben in Liebe vereint auf dem Scheiterhaufen.

Im Epilog fordert Mephisto die Erde ein, aber Michael meint nur so: „Nö, weil: Liebe!“

DAFUQ?

Die Inszenierung

Man sieht – trotz der schlechten Qualität der im Netz frei verfügbaren Versionen – dem Film an, dass er wesentlich mehr Budget hatte, als noch Nosferatu, er mischt die realistisch-romatische Bildgestaltung aus Nosferatu nun mit expressionistischer Kulisse. Wir sehen mehr spitze Winkel und Verzerrungen, die wir in Das Cabinet des Dr. Caligari kennen und schätzen lernten. Außerdem kommt zu Murnaus Spiel mit Licht und Schatten hier noch ein drittes Element hinzu: Rauch. Da dampft und qualmt es aus allen Ecken und Enden! Insgesamt sind die Specialeffects sehr beeindruckend, besonders hervorzueben ist dabei die Beschwörung Mephistos, bei der Kulisse, Kameraarbeit, Montage, Schauspiel und Spezialeffekte perfekt ineinandergreifen. Wenn der ganze Film so gewesen wäre, wäre ich absolut begeistert:

Murnau arbeitet mit vielen, langen Close-Ups. In langen Takes zeigt er die Gesichter seiner Schauspieler in Nahaufnahmen und lässt diese Gesichter sprechen. Das zweite Element, das in der Inszenierung hervorsticht sind Detailshots auf wichtige Plottdevices. Murnau kombiniert dies mit eine Proto-Variante des dramatischen Zooms: So sehen wir eine Kamerafahrt auf die Sanduhr, die uns zeigt, dass Fausts Zeit abläuft.

Screenshot aus Faust - Eine Deutsche Volkssage. Lizenz: gemeinfrei.

Screenshot aus Faust – Eine Deutsche Volkssage. Lizenz: gemeinfrei.

Aber noch beeindruckender ist ein Trackingshot, der als Zoom-Out fungiert und mit einer amerikanischen Einstellung auf Mephisto beginnt, aber dann den Bildaufschnitt immer weiter aufzieht, bis wir in der Totalen den ganzen Raum sehen, in den dann von vorne Faust und Frau Parma das Bild betreten. An solchen Szenen sieht man wirklich, dass Murnau sein Handwerk verstand, es wird verständlich, warum Hollywood ihn umbedingt haben wollte und auch woher so mancher Trick aus der Kiste seines Schülers/Praktikanten Alfred Hitchcock stammt.

Die Vergewaltigungsszene

Aber Murnaus Filme sind ja ein Spiel mit Licht und Schatten. Und Schatten fällt vor allem auf die Vergewaltigungsszene. Möglicherweise ist es nur ein Halbschatten, das bleibt zu klären. Wer wissen möchte, warum Vergewaltigungen in Filmen fast immer problematisch sind, dem empfehle ich unsere Folge zu Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande und den dort empfohlenen Artikel vom FILM CRIT HULK.

Screenshot aus Faust - Eine Deutsche Volkssage. Lizenz: gemeinfrei.

Screenshot aus Faust – Eine Deutsche Volkssage. Lizenz: gemeinfrei.

Die Inszenierung der Vergewaltigung ist zunächst einmal sehr stark: Sie ist so subtil, dass sie dem Wikipediaautor entgangen ist und spricht doch eigentlich Bände. In einer „Kurzer-Rock-Metapher“ steht Gretchen abends am offenen Fenster und Faust sieht darin eine Einladung in ihr Zimmer einzusteigen. Gretchen sieht das allerdings anders – ein offenes Fenster ist noch lange kein Grund dafür, dass ein Mann zudringlich werden darf – und hält im wahrsten Sinne es Wortes dagegen, indem sie versucht das Fenster zuzudrücken. Doch der stärkere Faust dringt schließlich gewaltsam ins Zimmer ein. Das ist Filmkunst auf höchstem Niveau: Ohne einen Zentimeter nackte Haut zu zeigen, macht hier Murnau alles klar und hätte er es dabei belassen, wäre alles gut. Aber dann baut er gleich zwei üble Wendungen ein. Nach zwei Szenenechseln sehen wir nämlich Gretchen glücklich in Fausts Armen liegen und das ist dieses beschissene Macho-Klischee, mit denen seit Jahrtausenden Vergewaltigungen gerechtfertigt werden: Sie will es, sie weiß es nur noch nicht. Wir haben im Spätfilm schon einmal im Zusammenhang von Goldfinger darüber gesprochen, der genau den gleichen Trope verwendet.

Aber damit noch nicht genug: Murnau packt gleich noch einen zweiten problematischen Trope hintendrauf, indem er die Vergewaltigung als Plott-Device einsetzt für den Standard-Trope, der in Filmen fast immer auf Vergealtigungen folgt: die Rache. Obendrein darf nicht einmal Gretchen sich selbst rächen, denn sie genießt es ja, sondern ein ECHTER MANN, nämlich ihr Bruder muss den Rache-Part übernehmen. Das ist (mit Sicherheit auch schon 1926) ein solch abgenutzter Trope, der einfach nur von faulem Drehbuchschreiben zeugt …

Allerdings, dass möchte ich nicht verschweigen, bringt Murnau noch zwei weitere Brechungen ein, die eben nur einen Halbschatten daraus machen. Zum einen muss man bedenken, dass bei der ganzen Szene Mephisto die Fäden in der Hand hielt, dass also alle Beteiligten nur fremdgesteuerte Marionetten waren. Ob das die problematische Inszenierung besser macht, weiß ich nicht, denn Mephisto ist ja das Symbol für das Böse und zu wenig Bosheit war nicht das Problem der Szene. Aber die folgenden Szenen hellen das düstere Bild, das Murnau von Gretchen zeichnet, auf. Denn der komplette Schluss des Films dreht sich um Victim-Blaiming. Ob es nun eine Vergewaltigung war oder Gretchen es doch irgendwie wollte, von da an wird sie von allen nur noch wegen des Sex fertiggemacht. Und Murnau verurteilt das. Seine Bildsprache ist hier eindeutig: Er setzt Gretchen mit der Mutter Gottes gleich und zeigt eine unbarmherzige Welt, die komplett unchristlich auf sie reagiert.

Doch diese Brechung macht Murnau am Ende dann selbst wieder kaputt durch seinen cheesigen „Weil Liebe“-Schluss. Ich meine: Wo war Faust, als seine ach so Geliebte mit dem gemeinsamen Kind auf der Straße lebte und gegen das Erfrieren kämpfte? Als es darum ging, Verantwortung für seine Tat zu übernehmen, hat er sich nicht die Bohne um Gretchen geschert, aber Hauptsache am Ende einen Opfertod sterben, dann ist ja alles wieder gut, weil: Liebe.

Pfffff …