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1932 – Scarface

Weiter geht es in meiner Reise durch die Filmgeschichte mit Scarface! Aber nicht jenem Film von Brian De Palma aus dem Jahr 1983, an den ihr wahrscheinlich denkt. Nein, De Palmas Werk ist nur ein sehr loses Remake. Denn als in den 30ern die erste große Gangsterfilmwelle durch Hollywood rollte, da wurde die Geschichte vom narbengesichtigen Tony schon einmal erzählt. Und zwar wurde sie von den beiden Howards erzählt: Howard Hawks führte Regie und Howard Hughes (den ihr aus Scorseses The Aviator kennt) produzierte den Streifen. Die beiden haben sich wohl auch ganz schön in die Haare gekriegt.

Denn der Film hatte von Anfang an mit Zensur zu kämpfen, obwohl der Hays Code erst zwei Jahre später offiziell verpflichtend wurde. Der Film war dem Hays Office einfach viel zu brutal und wurde als moralisch fragwürdig angesehen, sodass es  ihn massiv bekämpfte. Nachdem das Hays Office schon mehrere Änderungen am Drehbuch gefordert hatte, sprach Hughes zunächst noch ein Machtwort und sagte zu Hawkes: „Screw the Hays Office, make it as realistic, and grisly as possible.“

Nach Vollendung des Films sollte ihm dann aber ein amerikaweiter Release verwehrt bleiben. Daher knickte Hughes vor dem Hays Office ein. Das wiederum führte zu einer Überwerfung mit Hawkes, der seinen Film nicht ändern wollte. Entsprechend engagierte Hughes schließlich Richard Rosson und verpasste dem Film vor allem einen neuen Anfang und ein neues Ende. Neben dem Untertitel „The Shame of the Nation“ wurden am Anfang ein paar sehr moralinsaure Texttafeln eingefügt, die noch einmal betonten, dass der Film ja nur zeigt, was so abging in Zeiten der Prohibition (1919 – 1933), wie schlimm das alles sei, und dass die Zuschauer es in der Hand hätten, dies an den Wahlurnen zu quittieren. Das Ende wurde hingegen positiver für die Polizei gestaltet.

Doch wie ist der Film denn eigentlich inhaltlich, abgesehen von diesen veralteteten Kritikpunkten? Er beginnt zunächst einmal großartig mit einem Trackingshot, der 3:15 Minuten andauert und in einem ersten Mord von Tony, gefilmt als Schattenspiel, mündet. Auch sind die Szenenübergänge besonders am Anfang sehr schön, wenn zum Beispiel mit Matchcuts gearbeitet wird. In der Mitte gibt es eine Montage von Straftaten, die Tony und seine Leute begehen, die sicherlich exemplarisch war für viele noch kommende Gangsterfilme. So ist garantiert die Matratzen-Sequenz aus dem Paten daran angelehnt.

Auch Tony gefällt mir, Paul Muni spielt den hemdsärmeligen Emporkömmling mit einer überzeugenden Mischung aus Albernheit und brutaler Selbstsicherheit. Nicht zuletzt ist Love Interrest Poppy (Karen Morley) eine toughe Frau, die zu den ganz wenigen in diesem Film gehört, die keine Angst vor Tony hat.

Aber der Film hat auch seine Probleme. Technisch bedingt ist die Tonspur das größte Problem. Die fehlende Filmmusik kann ich ihm noch verzeihen, da hatten die Macher keine andere Wahl. Aber zumindest in der Kopie, die ich gesehen habe, war die Tonqualität so schlecht, dass die Dialoge oft nur sehr schwer zu verstehen waren, was mich des Öfteren aus der filmischen Immersion hinauskatapultiert hat.

Die vielen Schlägereien sind schlecht gealtert, denn es fehlt ihnen schlichtweg an Dynamik. Doch am meisten hat mich gestört, dass die Kombination aus ernstem Kriminaldrama und alberner Komödie nicht aufgeht. Zum Beispiel ist die Szene, in der Tonys Sekretär während einer Schießerei vergeblich versucht, den Namen eines Anrufers zu erfragen, viel zu überdreht. Besonders wenn Hawkes dann am Ende versucht, ebenjenen Sekretär eine dramatische Todesszene zu schenken; was einfach nicht funktioniert, da der Charakter viel zu wenig Tiefe hatte.

Schön ist allerdings noch, wie der Film mit dem „The world is yours“-Plakat endet. Im Podcast hatten wir kürzlich noch erwähnt, dass das ein Scarface-Zitat in La Haine ist, ohne zu wissen, dass der 83er-Film das schon selbst zitiert hat.

#Horrorctober 12 – Carrie (2013)

Der letzte #Horrorctober-Film bevor am Samstag der Schreckensmonat in unserem Halloweenspecial seinen Abschluss feiert! Freut ihr euch auch schon so wie ich? Aber noch sind wir nicht bei The Shining, sondern bei Carrie und das ist zugleich der erste Film einer Regisseurin, den ich hier besprochen habe. Kimberly Peirce hatte die Ehre auf dem gleichen Regiestuhl Platz zu nehmen, auf dem schon Brian De Palma saß.

Eckdaten

Erscheinungsjahr: 2013
Regie: Kimberly Peirce
– Filmographie:
1999 Boys Don’t Cry
2008 Stop-Loss
2013 Carrie
Budget: 30 Mio $
Besetzung: Chloë Grace Moretz (Carrie), Julianne Moore (Carries Mutter)
Genre: Horror, Coming of Age

Die Handlung in fünf Sätzen

Mit Spoilern …
Enttäuschung
Carrie beherrscht Telekinese und ist die Tochter einer religiösen Fanatikerin. Als die unaufgeklärte Carrie ihre erste Periode bekommt, schockt sie das nicht nur, sie wird auch von den anderen Mädchen für ihre Ahnungslosigkeit gehänselt. Doch Sue tut das Leid und sie organisiert, dass ihr Freund mit Carrie zur Prom-Night geht. Dort wird Carrie aber wieder von anderen Mädchen verarscht. Das bringt das Fass zum Überlaufen, Carrie flippt telekinetisch aus und am Ende sind fast alle tot.

Filmisches Erzählen

Alles in allem hat mir der Film ganz gut gefallen. Die Coming-of-Age-Aspekte sind solide erzählt und gewürzt mit dem Dreh, dass die klassischen Rollen wie Nerd, Coole(r) und Bully alle konsequent von Mädchen besetzt sind, während die einzige männliche Rolle eher den Part der „netten Freundin des Quaterbacks“, auf die der Nerd scharf ist, spielt.

So gut mir dieser Teil des Films gefallen hat, so schlecht gefiel mir aber der komplette Handlungsbogen rund um den Mutter-Tochter-Konflikt – und das trotz Julianne Moore! Erst einmal ist die Mutter absolut over the top, wodurch die Dramatik des anderen Erzählstranges komplett karikiert wird. Doch das andere und noch schwerwiegendere Problem ist, dass Carrie sich komplett inkonsistent verhält: Während sie in der Schule aufgrund ihres streng religiösen Backgrounds gemobbt wird und dort ein total unterdrücktes Mäuschen ist, agiert sie gegenüber ihrer Mutter rebellisch. Es ist überhaupt nicht ersichtlich, warum sie ausgerechnet gegenüber ihrer Unterdrückerin aufbegehren sollte, es ihr aber nicht gelingen soll, diese Rebellion in die Schule zu tragen in Form eines anderen Auftretens als jenem des religiösen Mäuschens. Erst im Finale gelingt ihr das, nachdem sie ihre telekinetische Macht (schöne Pubertätsmetapher) gelernt hat zu kontrollieren.

Das Problem, das die Ursache für diese merkwürdigen Widersprüche darstellt, ist meines Erachtens, dass Chloë Grace Moretz in die Hauptrolle gecastet wurde. Moretz Ist einfach zu hübsch für die Rolle. Das ist ein ganz klassisches Hollywood-Problem: Hier wird die Geschichte vom hässlichen Entlein variiert, bis auf das kleine „zu vernachlässigende“ Detail, dass das Entlein nie hässlich ist, sondern vom ersten Shot an ein hübsches Mädchen, auch wenn ihr sie noch so blass schminkt. Also müssen andere Gründe für ihre Außenseiterrolle herbeikonstruiert werden. Auch wenn ich mich an die De-Palma-Verfilmung nicht mehr erinnern kann, weil ich sie vor mittlerweile Jahrzehnten (oh man, bin ich alt) sah, so weiß ich zumindest noch, dass De Palma Im Casting ein geschickteres Händchen bewiesen hatte.

Das alles hörte sich jetzt ziemlich vernichtend an, aber so soll es gar nicht gemeint sein. Ich hatte insgesamt Spaß an dem Film, er baut große Spannung auf und das unvermeintlich böse Ende wird gut herbeigeführt.  Ich halte Kimberly Peirce für eine talentierte Filmemacherin, die ja auch mit Boys Don’t Cry schon gezeigt hat, dass sie noch Luft nach oben hat. Es ist sehr schade, dass sie nur drei Filme in 15 Jahren liefern konnte und hoffe, dass wir von ihr noch einiges zu sehen bekommen.

Die „Here’s Johnny“-Szene

… kommt nach 1:07:00 Stunden, ist aber kein The-Shining-Zitat, sondern nur eine weitere Variante des Tropes. Die Mutter spaltet mit blutigen Händen eine Tür und greift dann zum Schloss. Interessant ist, dass dieser Griff wie bei Körkarlen vergeblich ist.

Fazit

Ein ganz netter Film (sofern „nett“ das richtige Prädikat für einen Horrorfilm ist). Kein Shining-Zitat, aber zumindest habe ich jetzt so viele Variationen des Tropes vom Mörder, der sich mit einer Axt durch eine Tür hackt, gesehen, dass ich richtig Lust habe auf The Shining. Ihr hört von uns im großen Halloweenspecial!