SF158 – Der faule Diskurs des solipsistischen Ichs, das sich trivial überzeugen lässt (feat. Jan)

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Das Referenzwerk über die Frage, ob Filmkritik objektiv oder subjektiv ist

Aus einer Twitter-Diskussion zwischen Jan und Daniel über die Frage, ob Filmkritik subjektiv ist oder objektiv, entstand diese Folge. In über zwei Stunden geht es um Road House, die Intention des Künstlers, Symbolsysteme, Expertenargument, Skalen, richtige und falsche Interpretationen, Regelbrüche, den faulen Diskus, ums Rechthaben und nicht zuletzt Philosophie. Da machen wa ne eigene Folge draus!

 

31 Gedanken zu „SF158 – Der faule Diskurs des solipsistischen Ichs, das sich trivial überzeugen lässt (feat. Jan)

  1. teslathecat

    Ich möchte mich nur mal kurz bei euch bedanken. Gestern habe ich mir auf Grund eures Podcasts, das erste (und sich nicht das Letzte mal) Road House angeschaut. Und was soll ich sagen… ich hatte unglaublich viel Spaß, was für ein geiler Film!
    Ohne euch hätte ich diese Perle definitiv links liegen lassen.

    mfg teslathecat

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  2. Sumpfohreule (Erbtante Wankelmut)

    Lieber Daniel, lieber Jan,

    sich diese Folge anzuhören, hat Spaß gemacht, auch wenn ihr am Ende leicht müde und genervt klangt. Aus welchem Grund ihr aber den Begriff der „Intersubjektivität“ gemieden habt, der doch vielleicht ganz gut als Brücke zwischen euren Argumenten hätte fungieren können, wurde mir nicht ganz klar.

    Auch einen anderen Punkt habt ihr mehrfach gestreift, aber nie ins Zentrum eurer Diskussion gestellt: Dass sich verschiedene Personen zwar durchaus darüber einig sein können, wie stark ein Film in bestimmten Kategorien auf Skalen punktet, über die man sich gemeinsam geeinigt hat (solche Kategorien könnten z.B. sein: Kameraarbeit, Schnitt, Sound, Schauspiel der einzelnen Darsteller, Glaubwürdigkeit der Handlung, Überraschung, Diversität der Figuren usw. usf.). Dennoch könnten sich diese Personen gleichzeitig stark uneinig darüber sein können, wie WICHTIG ihnen diese einzelnen Kategorien sind.

    Beispiel: Zwei Personen könnten sich vollkommen darüber einig sein, dass ein Film starke Plotholes aufweist. Trotzdem könnten für die eine Person diese Plotholes sehr wichtig für die Gesamtwertung sein, und für die andere Person diese Plotholes vergleichsweise unwichtig. Beide Personen kämen dann zu einer sehr unterschiedlichen Gesamtwertung des Films, ohne dass die eine Person mehr Recht oder Unrecht hätte als die andere.

    Liebe Grüße!

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    1. Daniel Beitragsautor

      Danke für diesen schönen Kommentar und deinen Input. Ja, wahrscheinlich hast du recht und Intersubjektivität ist das, wovon wir beide gesprochen haben. Auch die Gewichtung der verschiedenen Kriterien ist ein guter Punkt!

      Genervt waren wir übrigens nicht. Aber wahrscheinlich etwas müde, am Ende war es schon recht spät. Aber Jan und ich haben uns weiter lieb. 😉

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  3. Tamino

    WTF, Daniel mag Road House, das hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Da kommt ja sowas wie echt „Geschmack“ ans Licht von dem alten Hitchcock Fanboy.

    Jungs, wie er hier echt 2 Stunden plaudert, ohne auch nur einmal „objektiv“ und „gut“ zu definieren, was beides ESSENTIELL für die ganze Diskussion ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jan beide Begriffe zumindest tendenziell anders definieren würde als Daniel, was vermutlich für den Großteil eurer Uneinigkeiten bzw. Missverständnisse verantwortlich ist. Aber dazu später.

    Ich muss ja sagen, dass ich unglaublich gerne bei dieser Diskussion dabei gewesen wäre, da ich über genau dieses Thema schon oft, aber selten so intensiv mit anderen diskutiert habe. Ich war bei diesem Gespräch nahezu zu 100% auf Daniels Seite und wollte Jan oft energisch widersprechen, weil ich der Meinung bin, dass er vieles nicht richtig verstanden hat, was Daniel geäußert hat. Ich kann teilweise zwar Jans Argumente verstehen und sehe auch gewisse Problematiken die er anspricht, empfand aber größtenteils, wie Daniel es ja auch mehrmals in der Sendung sagt, dass Jan oft eher ausweicht, weil, jetzt meine Formulierung, die Absurdität seines Relativismus sonst offensichtlich würde.

    Im Grunde habe ich nach zwei Stunden immer noch keine so richtige Ahnung, was Jans Einstellung eigentlich wirklich ausmacht. Ist es etwas wie: Objektivität ist in jeder Hinsicht eine Illusion und ein produktiver Austausch über Filme ist daher nicht möglich; ein Erkenntnisgewinn innerhalb des Mediums ist illusorisch? Ganz schön destruktive Sichtweise, wenn es denn so stimmt. Es klingt für mich jedenfalls so, denn meist wenn Daniel ein völlig nachvollziehbares Argument liefert oder einen produktiven Vorschlag zur generellen Diskussionsführung macht, Jan dann vielleicht wichtige Probleme aufzeigt, die aber kein Gegenargument gegen Daniels Kernaussage sind, aber letztendlich sehr strikt vieles abstreitet, ohne wirklich nachvollziehbar darzustellen, warum eigentlich. Jan sagt sogar einmal: „Stell dir vorher wir reden über einen Film und ich sage: über sowas [einen Aspekt des Films] diskutier ich gar nicht […] Dann bin ich doch nicht auf der schlechteren Seite.“ Mein sprachliches Repertoire reicht vermutlich nicht aus, um adäquat zu formulieren, wie unendlich hoch 15 mal du nach so einer Aussage auf der untersten argumentativen „Seite“ bist. Wie kann jemand, der einen Bachelor in Philosophie gemacht hat, nur so etwas sagen. Das macht mich als Philo-Student gerade regelrecht traurig. So eine Aussage geht mit Philosophie so wenig d’accord wie nur irgend möglich. Über etwas nicht diskutieren zu wollen, ist doch das letzte was einem Erkenntnisgewinn förderlich sein kann. Ich hoffe das war hier anders gemeint als es klang. Das soll jetzt wirklich nicht wie ein persönlicher Angriff klingen, ist halt oft leider so, wenn man solche Kritikpunkte niederschreibt statt sie verbal äußern zu können. Ich bin nur echt gerade etwas fassungslos ob dieser Aussage. Also zur Versöhnung: 25th Hour ist ebenfalls ein sehr geliebter Film von mir, der generell von der Filmschauerschaft zu Unrecht übersehen wird.

    Ich glaube jedenfalls nicht, dass jemand wie Jan, der einen Podcast über Filme macht, einen objektiv gut gemachten Film wie z. B. Heat nicht von einem Trash-Feuerwerk wie The Room unterscheiden kann, den man halt nur subjektiv genießen kann, weil man über ihn lacht. Da ist doch ein FUNDAMENTALER Unterschied, wie man ihn sich ansieht. Ich denke hier liegt ein anderes Begriffsverständnis von „objektiv“ und „gut“ vor als bei Daniel und mir. Das einzige was beide Filme verbindet ist, dass ich bunte Bilder vor einem Bildschirm betrachte. So ziemlich alles andere ist anders in der Seherfahrung, in meiner Bewertung und in der Bedeutung der Zahlen meines Ratings. Hier einfach nur beide Male zu sagen „Ich mag den Film“ würde so unendlich viel außen vor lassen.

    Ich hätte die Diskussion jedenfalls anders aufgezogen als ihr, am besten etwas strukturierter, hehe. Zunächst sind Definitionen besagter Begriffe notwendig. Genau wie Daniel möchte ich „objektiv gut“ nicht nicht als „löst für jeden viel viewing pleasure aus“ bzw. „ist metaphysisch von überlegener Wertigkeit“ definieren, sondern als etwas wie „funktioniert durch in über 100 Jahren entstandene und durch von qualifizierten Rezipienten generell als funktional eingeschätzte filmische Mechanismen, die jenseits von reinen subjektiven Präferenzen operieren“.

    Daniel spricht zu Beginn von der „Symbolsprache Film“, und das ist ein sehr wichtiger Punkt. Man muss diese Symbolsprache verstehen, um ein qualifiziertes, objektives Urteil äußern zu können. Nochmal: das ist KEIN Geschmacksurteil darüber, wie sehr einem der Film gefallen hat. Ein solches hat in erster Instanz nichts damit zu tun und kann im Gegensatz jeder sofort und unmittelbar fällen. Wenn man diese Dichotomie leugnet, muss man damit automatisch dem Studium der Filmwissenschaft jedwede Berechtigung absprechen und kann zwischen Roger Ebert und einem 10-jährigen, der fünf Filme gesehen hat, keinerlei Unterschied in Hinsicht auf eine Aussage in Bezug auf einen Film sehen. Ich würde zwar nicht sagen, dass man Anzahl X an Dramen gesehen haben muss, sondern nur das Symbolsystem des Dramas verstanden haben muss, um, wie Daniel es einmal äußert, ein „aufgeklärtes Urteil“ oder wie ich vielleicht eher sagen würde, ein Urteil, gegründet auf Sachverstand, äußern zu können. Ich bin der festen Überzeugung, dass man auch in Unterhaltungsmedien bzw. in Kunst einen Sachverstand haben kann. Dies ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für ein qualifiziertes, objektives Urteil.

    Was bedeutet jetzt also dieses „objektiv“ genau? Zunächst meint es NICHT eine Art metaphysischer Richtigkeit einer Aussage bzw. Wertigkeit einer Qualität. Ich glaube das ist das häufigste Missverständnis an diesem Punkt. Objektiv heißt hier „unabhängig von subjektiven Präferenzen“. Ich mag z. B. Actionfilme. Daher gucke ich solche meist lieber als andere, empfinde also generell ein höheres viewing pleasure bei ihnen. Ich kann mir stundenlang angucken, wie sich in The Raid 2 Leute verprügeln und in Stücke hacken. Das heißt aber dadurch nicht automatisch, dass die Action in den Film gut eingearbeitet ist, die Kameraarbeit das Geschehen toll einfängt etc. Zunächst heißt es nur, dass ich gerne exzessive Actionszenen mag. Wenn ich jetzt aber den ganzen Film bewerte, muss ich ja auch seine Story, die Dramaturgie, die Darsteller, den Inhalt etc. bewerten. Ich habe The Raid 9/10 Punkten gegeben, was mein viewing pleasure beschreibt, aber ich würde ihn niemals auch nur ansatzweise so hoch auch nach objektiven Maßstäben einstufen, da das meiste hier funktional ist und die Action selbst für mich SUBJEKTIV den Ausschlag gibt, dass ich ihn so gerne mag. Niemandem der kein Actionfan ist würde ich diesen Film empfehlen.

    Durch den Aspekt der Empfehlung kann man sich auch den Unterschied von objektiv und subjektiv verdeutlichen. Es gibt Filme, die ich total scheiße finde und niemandem empfehlen würde, so wie District 9, und es gibt Filme, die finde ich subjektiv genau so scheiße, würde sie aber dennoch anderen empfehlen, wie Lost in Translation. District 9 ist objektiv Grütze. Es gibt zig Leute, die das anders sehen, aber hier bin ich der Meinung, dass diese Menschen schlichtweg die Probleme des Films nicht wahrnehmen. Das kann man vielleicht paternalistisch nennen, aber ich bilde mir ein, dass ich genug von Filmen, insbesondere von Sci-Fi und Dystopien verstehe, um dieses Urteil fällen zu können, ich es hier wirklich besser weiß als viele andere. Man kann den Film immer noch gerne gucken, also viewing pleasure empfinden, aber wenn mir jemand sagen will, dass der Film eine intelligente Verarbeitung von Rassismus sei, dann hat er leider einfach Unrecht. Argumente sind hier das Stichwort, wie Daniel es in der Sendung immer wieder betont hat, und hier halte ich viel von den meinen. Und andersrum genauso. Ich finde Lost in Translation sterbenslangweilig, aber ich würde niemals behaupten, dass der Film schlecht sei. Ich finde es sogar ergiebig, mich über ihn zu unterhalten, aber ich empfinde quasi kein viewing pleasure bei seiner Sichtung, weil MIR melancholische, minimalistische Dramen über Verlorensein in der Welt und ein „Beinahe-Liebe“ nicht viel geben.

    Jan leugnet in der Diskussion im Grunde, dass so etwas wie FilmANALYSE überhaupt möglich ist. Wie könnte ich denn auch analysieren, wenn alles nur subjektiv ist? Was sollte ich denn analysieren, ich könne ja nur rein subjektiv sagen, ob ich etwas mag oder nicht. Aber es ist schlichtweg nicht so einfach, nicht mal ansatzweise. Es gibt filmische Mechanismen, die funktionieren können oder nicht, genau wie ein Auto funktionieren kann oder nicht. Natürlich ist es bei weitem nicht so klar, was wir als Zuschauer von einem Film wollen wie von einem Auto, aber das heißt im Umkehrschluss nicht, dass somit automatisch jedwede Objektivität absurd würde. Dieser Punkt ist enorm wichtig. Die Diskussion ist nicht immer leicht und auch nicht immer schwarz und weiß, aber sie zu führen ist VIEL produktiver als nur subjektive Geschmacksurteile auszutauchen.

    Abschließend: Man dürfe nicht vergessen, dass man nicht aus seiner eigenen Haut könne, sagt Jan an einer Stelle. Aber genau darum geht es doch! Wir wollen unsere eigene subjektive Unproduktivität in einer Diskussion überwinden, indem wir in die INTERsubjektivität eintreten, wir den anderen ZU VERSTEHEN versuchen. Und dieses Verständnis kann nur möglich sein, wenn es irgendetwas Objektives gibt, eine Art gemeinsamen Nenner, durch den wir kommunizieren können. Wenn der eine tanzende Tentakelmonster und der andere fliegende Pizzabäume sehen will, dann brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Aber glauben wir das wirklich? Sind unsere subjektiven Präferenzen wirklich so vollkommen unkommunizierbar? Ich glaube vielmehr, dass fast jeder Filmfan ein tolles World Building oder eine gelungene Dramaturgie zu schätzen weiß, einen Film, der eine fesselt, dessen Figuren man ins Herz schließt.

    Jeder kann einen Film subjektiv bewerten, also rein für sich, aber nicht jeder kann ein objektives Urteil über ihn abgeben, also eines, dass jenseits der eigenen Präferenzen Gehalt besitzt und damit auch für andere nützlich sein kann, denn dafür ist Sachverstand notwendig. Objektiv heißt nicht „ich habe mehr Recht als du“, es heißt „nicht auf subjektive Präferenzen gestützt“. Ja, einfach sind solche Diskussionen nicht immer, denn wir finden selbst Leute, die Transformers genuin als objektiv gut verteidigen. Nur sind solche Leute für filmische Diskussionen ungefähr so interessant wie NPD-Wähler für politische.

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    1. Daniel Beitragsautor

      So, jetzt werde ich mal anfangen, mir deinen Kommentar vorzunehmen …

      „WTF, Daniel mag Road House, das hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Da kommt ja sowas wie echt “Geschmack” ans Licht von dem alten Hitchcock Fanboy.“

      Ja, ich bin tiefgründiger, als es scheint. 😉

      „Jungs, wie er hier echt 2 Stunden plaudert, ohne auch nur einmal “objektiv” und “gut” zu definieren, was beides ESSENTIELL für die ganze Diskussion ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jan beide Begriffe zumindest tendenziell anders definieren würde als Daniel, was vermutlich für den Großteil eurer Uneinigkeiten bzw. Missverständnisse verantwortlich ist. Aber dazu später.“

      Sehr schön! Da zeigt sich schon unser unterschiedlicher Ansatz: Ich sehe die komplette Folge als einen Deinitionsversuch an. Gut, man hätte es auch so machen können, dass man zunächst eine Definition aufstellt, dann zwei Stunden redet und zuletzt schaut, wie sich diese Definition verändert hat. Wir haben nun eher einen Ansatz gewählt, bei dem wir uns dem Begriff im Gespräch nähern.

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    2. Daniel Beitragsautor

      So, weiter geht’s:

      „Jan sagt sogar einmal: “Stell dir vorher wir reden über einen Film und ich sage: über sowas [einen Aspekt des Films] diskutier ich gar nicht […] Dann bin ich doch nicht auf der schlechteren Seite.” Mein sprachliches Repertoire reicht vermutlich nicht aus, um adäquat zu formulieren, wie unendlich hoch 15 mal du nach so einer Aussage auf der untersten argumentativen “Seite” bist.“

      Das sehe ich komplett anders (aber auch nicht so wie Jan). Wie ich schon in der Folge sagte, ist dies ein klassischer Fall von Wittgensteins „Wovon ich nicht reden kann, darüber muss ich schweigen“. „Richtig“ und Falsch“ sind Prädikate, die sich nur auf Sprache anwenden lassen, weil Sprache einen Wahrheitswert hat. Wenn jemand nicht mehr spricht, sich dem Diskurs verweigert, kann das zwar ein legitimes Mittel sein, aber man kann eben nicht sagen, dass die Person dann recht oder unrecht hat.

      „Wie kann jemand, der einen Bachelor in Philosophie gemacht hat, nur so etwas sagen. Das macht mich als Philo-Student gerade regelrecht traurig.“

      Habe ich dir ja schon live gesagt: Ich kenne genug Leute, die sagen würden: Wie kann jemand Philosophie studieren und dann so rigoros eine andere Sichtweise ablehnen. 😉

      Über etwas nicht diskutieren zu wollen, ist doch das letzte was einem Erkenntnisgewinn förderlich sein kann.

      Es gibt zum Beispiel viele Menschen, die meinen, mit Nazis solle man nicht reden. Weil diese gar nicht am Erkenntnisgewinn interessiert sind, sondern jeden Diskurs nur nutzen, um sophistisch ihre Talking Points zu setzen. Dafür solle man ihnen keine Plattform bieten.

      Soviel für heute. Demnächst mehr.

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      1. Tamino Muth

        1. Ich habe ja auch nicht gesagt, dass jemand „Unrecht hat“ wenn er schweigt (oder wo liest du das bei mir?). Aber dass jemand, der auf eine Frage eine Antwort mit einem Argument für seine Position liefert, jemandem in einer Diskussion nicht überlegen sein soll, der einfach eine Antwort verweigert, erschließt sich mir nun überhaupt nicht. Hier geht es doch um die Suche nach einer Erkenntnis und außerdem um Respekt gegenüber dem Diskussionspartner. Wenn mir jemand in einer Diskussion sagt „darauf antworte ich nicht“ dann sagt er mir damit entweder, dass er meine Frage als unter seiner Würde ansieht bzw. sie zu dumm ist, um eine Antwort zu verdienen oder er aus emotionalen Gründen etc. nicht mit mir in ein Gespräch eintreten will. Beides ist ja wohl das letzte was einer Diskussion in irgendeiner Weise förderlich ist. Hier sehe ich echt nicht, wie man das als vernünftiger, offener Mensch anders sehen sollte. Vermutlich wolltest du etwas anderes sagen, denn das ist so selbstevident, dass man das nicht anders sehen kann, außer man verabscheut Philosophie und Aufklärung etc.

        2. Man darf als Philosoph also keine generelle Sichtweise auf etwas ablehnen? Was ist das denn für eine Einstellung. Wie kann ich überhaupt philosophieren, wenn ich nicht das nicht darf. Ist damit also automatisch jede noch so absurde Einstellung in Bezug auf alles und jeden gerechtfertigt? Hallo, liebster endlos absurder und unproduktiver Relativismus. Alle haben natürlich immer Recht auf ihre Weise und wenn ich von außen sage du hast Unrecht, dann bin ich paternalistisch. Wer braucht schon Logik und konsistente Argumengte. Philosophie heißt nicht, dass jeder Recht hat. Philosophie ist die Suche nach der Weisheit. Und das heißt auch, die Einstellungen ablehnen zu dürfen, die dieser Suche diametral entgegenlaufen. Wenn ich z. B. für Toleranz bin, kann, ja MUSS, ich gleichzeitig auch Menschen ablehnen, die Toleranz verabscheuen. Das heißt dadurch nicht, dass ich mir selbst widerspreche, sondern nur, dass ich nicht in die Relativismusfalle tappe.

        Wenn mir jemand erzählt, dass er Philosophie studiert hat und gleichzeitig eine offene Diskussion ablehnt, also anscheinend nicht mal erkennt, dass er sich gerade aktiv GEGEN eine Diskussionskultur, also gegen einen der Kernaspekte nahezu jeder Philosophie, ausspricht, dann widerspricht sich das auf krasseste. Wenn jemand Lehrer werden will und außerdem sagt, dass er Kinder verabscheut, dann würde ich eine derartige „Position“ ebenfalls rigoros ablehnen, weil sie in sich nicht konsistent ist. Wieder bezweifle ich ehrlich gesagt, dass du mir hier echt widersprechen willst, weil das doch so absolut offensichtlich ist. Also wolltest du mir hier auch etwas anderes sagen?

        3. Deinen letzten Punkt finde ich hier nicht sonderlich passend, da er nichts mit einer Diskussionskultur an sich zu tun hat. Das ist so wie zu sagen, Sport sei schlecht, weil mein lokales Fitnesscenter von einem Nazi geleitet wird. Es mag sicher in manchen Situationen irgendwelche externalen Faktoren geben, die es nahe lagen können, eine Diskussion, gerade in der Öffentlichkeit wie es wohl in deinem Beispiel gemeint war, nicht zu führen. Ganz am Ende schreibe ich ja selber, dass es unproduktiv ist, mit Nazis über Politik zu reden. Und weißt du wieso? Weil sie mir z. B. auf viele Fragen kategorial keine (vernünftigen) Antworten geben würden. *Winkwink* Eine totalitäre Einstellung kann man doch gerade nur entwickeln, indem man sich in Diskussionen gewissen Aspekten von vornherein verschließt. Daher ist dieses Verschließen philosophiefeindlich und wird von mir in Bezug auf Erkenntnisgewinn kategorial abgelehnt. Und hier geht es nicht darum, dass man vielleicht nicht den ganzen Tag über einen Menschen sprechen möchte, der einen gerade verletzt hat oder etwas in der Art. Wir reden hier nicht über Emotionalität oder Psychologie, sondern erstmal nur über die Funktionalität einer Diskussion (das andere kann erst danach eingeordnet werden). Die Philosophie verschließt sich vor nichts, das ist eines ihrer Axiome. Religion und Sophismus arbeiten dagegen mit Dogmen und Pseudologiken, um ihre Absurdität zu verschleiern. Aber das muss ich dir ja wohl kaum erzählen.

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        1. Daniel Beitragsautor

          WIE SOLL ICH DEN JE MIT DEINEM KOMMENTAR DURCHKOMMEN, WENN DU JETZT SCHON WIEDER DIE KOMMENTARE ZU DEINEM KOMMENTAR KOMMENTIERST?!?!

          Aber gut …

          dass jemand, der auf eine Frage eine Antwort mit einem Argument für seine Position liefert, jemandem in einer Diskussion nicht überlegen sein soll, der einfach eine Antwort verweigert, erschließt sich mir nun überhaupt nicht.

          Stell dir vor, du malst ein Bild, während ich spazieren gehe. Ist dein Bild dann schöner als meines? Das ist der ganze Kern meines Arguments. Dass dies kategorial etwas anderes ist.

          Hier geht es doch um die Suche nach einer Erkenntnis

          Was, wenn ich dieses Ziel selbst schon ablehne?

          Wenn mir jemand in einer Diskussion sagt “darauf antworte ich nicht” dann sagt er mir damit entweder, dass er meine Frage als unter seiner Würde ansieht bzw. sie zu dumm ist, um eine Antwort zu verdienen oder er aus emotionalen Gründen etc. nicht mit mir in ein Gespräch eintreten will.

          Es geht darum, dass wir Diskussionen immer auch als eine Art Wettkampf benutzen. Und dem kann man sich ja auch verweigern. Man kann für sich entscheiden, dass man bestimmte Aspekte einer Diskussion nicht aufmachen will. Das lutherische: Hier stehe ich und kann nicht anders. Wenn jemand anfängt Menschenrechte zu diskutieren, kann er viele Argumente bringen. An dem Punkt würde ich immer sagen, dass ich hier nicht weiter diskutiere, da ich unter diese Basis nicht zurückgehe. Dabei weiß ich gerade durch meine philosophische Bildung, dass Menschenrechte Axiome sind, die nicht von sich aus wahr sind, sondern weil unsere Gesellschaft entschieden hat, hier diskutieren wir nicht weiter.

          Man darf als Philosoph also keine generelle Sichtweise auf etwas ablehnen?

          Doch, darfst du. Ich gehe nur anders heran. Ich verurteile nichts mit Bausch und Bogen, wenn ich es höre und es sich mir nicht erschließt. Stattdessen versuche ich immer erst zu verstehen: Wie kann man nur von so crazy shit überzeugt sein? Ich versuche das Argument der Gegenseite so stark zu machen, wie irgend möglich. Dann schaue ich, ob da nicht irgendwo ein Fünkchen Wahrheit drinstecken könnte. Und erst wenn ich sie dann nicht finde, lehne ich die Sichtweise ab. Das ist die philosophische Methode, die ich in meinem Studium mir angeeignet habe. Übrigens ist das auch das, was ich gerade mache. Denn inhaltlich sehe ich ja die meisten Punkte sehr ähnlich wie du.

          Deinen letzten Punkt finde ich hier nicht sonderlich passend, da er nichts mit einer Diskussionskultur an sich zu tun hat.

          Die wirklich gute Frage von Jan lautet ja: Was machen wir, wenn an der Basis unserer Diskussionskultur etwas grundsätzlich nicht stimmt? Wie können wir uns auf ein Spiel einlassen, dessen Regeln schon unfair sind? Und das halte ich zumindest für bedenkenswerte Fragen.

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    3. Daniel Beitragsautor

      Weiter geht’s! Du schreibst:

      Ich hätte die Diskussion jedenfalls anders aufgezogen als ihr, am besten etwas strukturierter, hehe. Zunächst sind Definitionen besagter Begriffe notwendig. Genau wie Daniel möchte ich “objektiv gut” nicht nicht als “löst für jeden viel viewing pleasure aus” bzw. “ist metaphysisch von überlegener Wertigkeit” definieren, sondern als etwas wie “funktioniert durch in über 100 Jahren entstandene und durch von qualifizierten Rezipienten generell als funktional eingeschätzte filmische Mechanismen, die jenseits von reinen subjektiven Präferenzen operieren”.

      Das ist ein Punkt, den ich wahrscheinlich ganz genauso sehe. Dennoch sind es gerade auch die Filme, die die ‚generell als funktional eingeschätzte filmische Mechanismen‘ brechen, die dadurch wieder besonders gut werden. Denke an das Aufgeben der chronologischn Story-Line bei Pulp Fiction und Memento. An die Traumlogik bei Lynch, an den Verzicht auf eine strenge Akt-Struktur bei den Before-Filmen und und und. Das ist schwer zu fassen. Warum ist The Room, der die Konventionen fraglos auch bricht dann schlecht?

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      1. Sumpfohreule

        Ich bin mir nicht sicher, ob ihr beide hier tatsächlich Jans Punkt trefft.
        Ich glaube nicht, dass Jan bestreitet, dass man auf einer Checkliste abhaken kann, ob ein Film bestimmte Kriterien erfüllt oder nicht. Ich habe seine Position eher so verstanden, dass er sich fragt: „Was soll das bringen? Wieso wird ein Film deshalb gut?“

        Die Musikcharts sind voll von perfekt produzierten Popsongs. Da kann man nachprüfen, dass technisch alles absolut perfekt und sauber gemacht wurde. Sind diese Songs deshalb „gut“ oder „wichtig“? Ein großer Teil der Bedeutung von Bewegungen wie Dada oder Punk rührt daher, dass sie sich herkömmlichen Qualitätskriterien verweigern. Wenn das gut Gemachte immer auch das kulturell Bedeutende wäre, wären in der Musik technisch perfekte Opernsänger*innen unsere wichtigsten Kulturträger.

        Manchmal wenn ich vom aktuellen Hollywoodkino genervt bin, schmeiße ich mir Hitchcocks „Frenzy“ ein. Wie hier mit einer Hero’s Journey der Boden aufgewischt wird (ob bewusst oder unbewusst, auf jeden Fall aber meisterlich), ist einfach sagenhaft. Der Held wird als Unsympath eingeführt, der Schurke als sympathisch. Mittendrin vergisst der Film den Helden einfach mal für 30 Minuten und folgt dem Schurken. Das zu sehen, gibt mir mehr als die 100te nach Vorschrift ausgeführte Standard-Heldenreise.

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        1. Tamino Muth

          Ich denke hier muss man verschiedene Aspekte sehr genau voneinander abgrenzen.

          Musik finde ich als Beispiel erstmal etwas schwierig, da sie viel abstrakter operiert als Film (auch wenn Lynch das für seine Filme nicht so sieht), aber ich gehe trotzdem mal auch darauf ein.

          1. Das was in den Charts läuft ist größtenteils vielleicht „perfekt“ für Leute produziert, die keine Ahnung von Musik haben, aber gut ist es deswegen nicht. Eine Oper oder ein klassisches Stück hingegen ist nur durch Kultur als vermeintlich höherwertig klassifiziert als ein gutes Pop, Rap- oder Metalstück. Das sollte man nicht übersehen. Kulturelle Wertigkeit in einer Gesellschaft ist etwas ganz anderes als Qualität des Mediums selbst. Jemand wie Dieter Bohlen hat es z. B. immer verstanden, genau den Nerv der breiten Masse zu treffen, aber kein verständiger Mensch würde behaupten, dass Modern Talking gute Musik gemacht habe, nur weil die Band so erfolgreich war (zumindest nicht nach meiner Definition von „gut“). Ich habe außerdem noch nie jemanden getroffen, den ich Musikfan nennen würde und der gleichzeitig nur die Charts hört. Sowas geht einfach nicht. Das wäre so wie Literaturkritiker zu sein und als Lieblingsbücher die Pixi-Reihe zu haben. Und mit Fan sein meine ich hier nicht, nur viel zu konsumieren, sondern sich wirklich für ein Medium zu interessieren und sich damit zu befassen (ich meine hier also nicht so etwas wie „Fußballfan“; das was wir damit meinen geht auch prima ohne Sachverstand). Wenn man dies nämlich tut, entwickelt man einen Sachverstand und damit auch eine Liebe für Qualität. Das heißt nicht, dass wir damit alles lieben was gut ist, aber es bedeutet andererseits, dass wir immer mehr erkennen, was es nicht ist und dies dann – wenn überhaupt – nur unter Vorbehalt genießen können, also z. B. als guilty pleasure.

          Wenn wir das jetzt mal auf Filme zurückbiegen, dann ist es doch sicher kein Zufall, dass wir Diskussionsteilnehmer hier unter einem Filmpodcast alle sagen, dass Transformers riesiger Müll ist. Und das ist eben kein Zufall, der nur durch unseren spezifischen Geschmack begründet wäre. Wir verstehen Filme gut genug um zu erkennen, wie sehr ein Film wie Transformers in den Regeln des Mediums versagt. Die breite Masse hingegen sieht keinen Unterschied zwischen Transformers, Justice League und Fury Road und hält letzteren oft sogar für schlechter, weil er „keinen Plot hat“. Das führt nun zum nächsten Punkt.

          2. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ein Kunstwerk Regeln a) vernachlässigt/ignoriert/“auf sie scheißt“, b) bricht/überwindet/umgeht oder c) beim Versuch ihres Einhaltens versagt.

          a) Das Ignorieren bzw. das bewusste Vernachlässigen von Regeln beeindruckt uns in den meisten Fällen nur, weil diese Regeln das Medium für gewöhnlich konstituieren. Das Kunstwerk „funktioniert“ – oder besser: operiert – damit nicht aus sich selbst heraus, sondern nur im Kontrast mit etwas Externalem. Punkmusik hat an sich – das behaupte ich jetzt mal als leidenschaftlicher Metalfan – in den meisten Fällen musikalisch gesehen keine sonderliche Qualität. Ihr Kern konstituiert sich aus der Ablehnung anerkannter Prinzipien, das „auf alles Scheißen“, also z. B. dass man in einer Band ein Instrument spielen können sollte etc. Wenn jemand derartige Musik hin und wieder als Kontrast schätzt, dann ich kann das nachvollziehen, aber wenn jemand nur Punk hört und denkt, dass das die beste Musik sei, die er jemals hören könnte, dann muss ich zugeben, dass ich ihn ehrlich bemitleide. Wenn man sich eine Musiklandschaft vorstellt, die nur aus wildem Gitarren-Geschrammel und Gegröle besteht, dann kann man sich doch nur sofort von Musik an sich abwenden. Zu denken, dass die beste Musik ohne jedwede technische Fertigkeit ihrer Künstler und durch das Ablehnen allen dessen, was sich vorher über Jahrhunderte in einem Medium entwickelt halt, enstehen könnte, ist grenzenlos naiv und absolut unvorstellbar (und bei Filmen noch zig mal „unvorstellbarer“). Für einen gewissen Eskapismus sind derartige „Kunstwerke“ – denn oft würde ich sie nach meinem Kunstverständnis nicht einmal so bezeichnen – vielleicht geeignet, können aber niemals wahre Kunst ersetzen, da sie nicht aus sich selbst heraus funktionieren.

          b) Das gezielte Überwinden, elegante Umgehen oder manchmal geradezu „magisch“ anmutende Transzendieren von Regeln – wie wir als Fans eines Mediums es so lieben – kann nur funktionieren, wenn es unter besonderen Umständen passiert und ist daher immer die Ausnahme. Ein mediales Wunder, wenn man so will. Ein Film wie Donnie Darko erscheint nicht jede Woche im Kino, sondern vielleicht mal alle paar Jahre. Für so ein Werk ist nämlich ein Geniestreich nötig, der hier ja sogar dem Macher Richard Kelly nur bei einem seiner Filme gelungen ist, wogegen die anderen, obwohl sie thematisch ähnlich sind, vollkommener Schrott sind. Ein derartiger Geniestreich ist etwas besonderes und lässt sich auch nicht immer leicht erklären. Ich kann z. B. viel einfacher in Worte fassen, warum ich Seven liebe als ich es bei Donnie Darko könnte. Der Mix aus verschiedenen Genres, Tones, Themen und narrativen Strukturen dürfte eigentlich nicht so gut funktionieren wie er es tut, aber auf „magische“ Weise tut er es hier. Das beweist aber für mich nicht die Absurdität meines Festhaltens an einer objektiven Bewertungsgrundlage im Allgemeinen. Ich erkenne nur an, dass sie nicht 100%ig wasserdicht ist, was ich aber auch nie behaupten wollte.

          c) In den allermeisten Fällen, wenn ein Film filmische Grundprinzipien nicht einhält, dann geschieht das aber nicht aus den oben genannten Gründen, sondern er scheitert schlichtweg dabei sie umzusetzen, während es vollkommen offensichtlich ist, dass er es versucht. So lachen wir Filmfans am Ende von Man of Steel darüber, wie am Geschehen größtenteils unbeteiligte Randfiguren plötzlich mit dem Satz „He saved us“ in den Vordergrund gedrängt werden, nur damit wir als Zuschauer uns daran erinnern, dass – während links und rechts die ganze Welt in Flammen aufgeht und unzählige Menschen durch Supermans Kampf sterben – er natürlich immer noch ein… Held ist. Es ist vollkommen offensichtlich, was hier versucht wird, und genauso evident ist das Scheitern desselben. Und eigentlich haben wir hier ja noch nicht mal den schlimmsten Fall vorliegen, denn immerhin hat jemand beim Drehbuchschreiben gemerkt, dass ein emotionaler Bezug zum Geschehen nach 45 Minuten stumpfsinnigem Geprügel „möglicherweise“ fehlen könnte. Ein Filmemacher wie Hitchcock hätte dieses Problem allerdings nicht nur bemerkt, sondern auch gelöst. In deinem Filmbeispiel (das ich nicht kenne) wird Hitchcock immer genau gewusst haben was er tut. Ein Zack Snyder hingegen ist einfach ein Dilettant. Was für eine Beleidigung Hitchcocks wäre es, beide auf eine Stufe zu stellen, indem man sagt, dass sie „auf ihre Weise“ jeweils ähnlich Gutes leisten würden.

          In einer meiner geliebten Hörspielserien, Dorian Hunter, gibt es eine Folge, die zu großen Teilen aus der Sicht des Villains erzählt wird. Aber dies funktioniert nur, weil sie einen Regisseur und Writer hat, der genau wusste, was er da tut, und weil diese Folge bewusst, gezielt und sorgfältig geplant mit anerkannten narrativen Strukturen bricht. So etwas kann sehr leicht daneben gehen. Es ist normalerweise nämlich eben nicht besser, eine Geschichte aus der Sicht eines Villains zu erzählen, denn sonst hätte sich dies bereits als Paradigma durchgesetzt. Die Hero’s Journey gibt es nur so häufig, weil sie so gut funktioniert. Aber in manchen Geschichten oder in ausgewählten Momenten einer solchen kann es sinnvoll sein, von einem derartigen Element Abstand zu nehmen. Aber man sieht gerade daran, wie selten so etwas funktioniert, dass die Regel für gemeinhin die überlegene Methode ist. Wie viele Filme haben versucht, Tarantino-esque Dialoge zu schaffen, indem Figuren einfach über „nichts“ reden, und so am Ende ein neuer Pulp Fiction entstehen sollte. Aber ist dies je passiert? Nein, denn dass Dialoge etwas über Figuren aussagen, dem Zuschauer gekonnt Plotinformationen vermitteln sollten etc. erweist sich eben doch fast immer als überlegen Methode.

          Das beste weil offensichtlichste Beispiel für ein filmisches Versagen sind Plotholes. Ein Plothole ist immer etwas objektiv Negatives, wenn man davon ausgehen kann, dass eine kohärente Geschichte erzählt werden soll (und das kann man in weit über 99% aller Filme, Lynch, oder ein Film wie 2001 etc. bilden da die Ausnahme). Wir beschweren uns dennoch nicht über jedes kleine Plothole, weil wir Verständnis dafür haben, dass eine Geschichte nicht völlig perfekt erdacht werden oder ein wundervolles Sci-Fi Szenario nicht 100%ig Sinn ergeben kann. Gleichzeitig wäre es völlig absurd, FÜR ein Plothole zu argumentieren (außer eben wie immer: man guckt einen Film im Trash-Modus). Ein Plothole ist so objektiv schlecht wie etwas nur sein kann, denn es stört Immersion des Zuschauers durch fehlende Kohärenz oder Glaubwürdigkeit einer Geschichte. Ich „liebe“ übrigens immer die Leute, die hier als Gegenargument aufführen, sie hätten ein Plothole nicht bemerkt und daher sei es kein Problem. Wenn man das mal bei einem technischen Fehler eines Flugzeugs sagen würde. Natürlich tolerieren wir Plotholes bis zu einem gewissen Grade, aber gleichzeitig kritisieren wir sie ab dem Punkt, wenn wir durch sie einer Geschichte nicht mehr folgen können. Und je mehr wir das Medium Film verstehen, desto eher nehmen wir Plotholes war. Der genau Hinschauende, der das Plothole bemerkt und sich an ihm stört, wenn es gravierend ist, hat „mehr Recht“ als der Unbedarfte, der nur oberflächlich halb hinschaut und dann den Film vermeintlich für das lobt, was dieser geleistet hätte, aber ER SELBST und eben nicht der Film es sich in seinem Kopf konstruiert hat. So entstehen Menschen, die die Star Wars Prequels für gut befinden.

          PS: ist jetzt leider etwas länger geworden als Daniels *Daumen hoch*

          Antworten
          1. Daniel Beitragsautor

            Das:

            2. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ein Kunstwerk Regeln a) vernachlässigt/ignoriert/”auf sie scheißt”, b) bricht/überwindet/umgeht oder c) beim Versuch ihres Einhaltens versagt.

            finde ich eine schöne Kategorisierung. Die muss ich mir merken.

          2. Sumpfohreule

            Tamino, vielen Dank für die lange Antwort. Ich kann leider nicht auf jedes Detail deiner Argumentation eingehen, sondern versuche stattdessen eine Antwort in groben Zügen.

            Dass“Regeln des Kinos“ existieren mögen, bestreite ich nicht. Worauf ich hinweisen wollte, war die mögliche Willkürlichkeit und die Kontingenz dieser Regeln (mit Kontingenz meine ich: diese Regeln bestehen, aber es hat nicht notwendigerweise so kommen müssen, dass sie in dieser Form bestehen) .

            Der Punkt ist: Schön und gut, dass bestimmte Regeln existieren, aber ist es wirklich sinnvoll und notwendig, dass wir uns an diese Regeln halten?

            Zu meinem Hitchcock-Beispiel (Sorry, dass du den Film nicht kennst. Ich kann ihn dir aber sehr empfehlen): Ich habe keine Kenntnisse darüber, ob Hitchcock Campbells Buch „Hero with a thousand Faces“ gekannt hat, als er „Frenzy“ drehte. Insofern kann ich auch nicht behaupten, er habe absichtlich die monomythische Struktur einer Hero’s Journey unterlaufen. Was er aber gemacht hat, war ein klug und bewusst strukturierter Film, der halt nicht aufs Schema der Hero’s Journey passt.

            Und eben das finde ich aus heutiger Perspektive, wo ein Großteil der Hollywood-Produktionen davon überzeugt ist, seine Geschichten „mythisch“ erzählen zu müssen, sehr erfrischend. Denn er beweist mir: Filme funktionieren auch hervorragend ohne mythische Struktur.

            Und dann darf man sich eben fragen: Wäre unsere Filmlandschaft eventuell viel interessanter, spannender und aufregender, wenn wir uns von dem Diktat solcher Strukturen wie der Hero’s Journey trennen würden?
            Vielleicht verhindert ja gerade die Dominanz des „mythischen“ Erzählens, dass ganz viele möglicherweise interessante Filme nicht gemacht werden.

            Zu deinem Beispiel mit den Plotholes. Du sagst: „Plotholes sind immer etwas objektiv Negatives, wenn man davon ausgehen kann, dass eine kohärente Geschichte erzählt werden soll“. Davon abgesehen, dass der Satz tautologisch ist, sagt er auch nichts darüber aus, wie viel Wert wir auf eine kohärent erzählte Geschichte legen sollen.

            Zurück zu meinem Beispiel mit den Opernsänger*innen: Dass ein Sänger einen Ton exakt trifft, einen Ton dauerhaft halten kann, und einen mehrere Oktaven großen Stimmumfang hat, kann objektiv festgestellt werden und ist immer etwas Positives. Aber wie wichtig ist es denn letztlich?

            Möglich, dass Menschen, die sich tiefer mit Filmen beschäftigen, mehr Plotholes erkennen als andere Menschen. Das ist dann letztlich wie ein Musikkritiker, der ein so feines Ohr hat, dass er hört, wenn der Sänger das C mit 256 statt 262 Hertz gesungen hat. Dieser Kritiker hat dann, genau wie in deinem Beispiel, „mehr Recht“ als jemand, der den Unterschied nicht gehört hat. So what?

          3. Daniel Beitragsautor

            Zu deinem Beispiel mit den Plotholes. Du sagst: “Plotholes sind immer etwas objektiv Negatives, wenn man davon ausgehen kann, dass eine kohärente Geschichte erzählt werden soll”. Davon abgesehen, dass der Satz tautologisch ist, sagt er auch nichts darüber aus, wie viel Wert wir auf eine kohärent erzählte Geschichte legen sollen.

            Aber siehst du nicht einen Unterschied zwischen einem Film wie Mulholland Drive, der gar keine kohärente Geschichte erzählen will und bei dem es entsprechend keinen Sinn macht, nach Plotlöchern zu suchen; und zum Beispiel Minority Report, einem Thriller, wo das Rätselraten und das Folgern ein ganz wichtiger Bestandteil des Genres sind und der seine ganze Geschichte darauf aufbaut, dass Morde vorausgesehen werden können. Und dann versucht der Villain im dritten Akt Tom Cruise umzubringen, ohne dass es vorhergesehen wurde?

            Ich finde nämlich durchaus, dass hier ein Unterschied besteht.

          4. Sumpfohreule

            Doch, den Unterschied sehe ich durchaus.

            Wobei ich „kohärenter Plot“ aber weniger als „filmische Regel“ sehen würde, sondern eher als einen Teil des übergreifenden Themas „Glaubwürdigkeit“.

            Ich erwarte als Zuschauer von verschiedenen Filmen einen unterschiedlichen Grad an Glaubwürdigkeit. Umgekehrt treten die Filme selbst auch mit unterschiedlichen Gesten von Glaubwürdigkeit an mich heran.

            Einem naturalistischen Drama, das vorgibt, reale Menschen zu zeigen, könnten Plotholes das Genick brechen. Für Superhelden-Filme oder Märchenfilme wie „Star Wars“ muss der Zuschauer schon vorneherein soviel „suspension of disbelief“ aufbringen, dass Plotholes dann eventuell auch nicht mehr ins Gewicht fallen.

            Es gibt in der Mitte von „Zurück in die Zukunft II“ ein Plothole, das die gesamte innere Zeitreise-Logik des Films total zunichte macht: Biff reist aus der Film-Gegenwart mit dem Sport-Almanach in die Vergangenheit, übergibt den Almanach an sein früheres Ich, kehrt dann aber in die Film-Gegenwart zurück, die zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr existiere dürfte.

            Die ganze Prämisse von „Matrix“, nämlich dass Maschinen die Menschen als Energiequelle nutzen, ist qua Energieerhaltungssatz Nonsens, denn die Maschinen müssen letztlich viel mehr Energie in die Menschen investieren, als sie aus ihnen ernten können.

            Den Grad, inwieweit man sich von solchen Plotholes stören lässt, in Filmen, die offenkundig ohnehin wenig Wert auf Glaubwürdigkeit legen, ist vermutlich von Zuschauer zu Zuschauer unterschiedlich. Sich über jemanden zu mokieren, weil er Plotholes in solchen Filmen für weniger schlimm hält, finde ich seltsam.

          5. Daniel Beitragsautor

            Wobei ich “kohärenter Plot” aber weniger als “filmische Regel” sehen würde, sondern eher als einen Teil des übergreifenden Themas “Glaubwürdigkeit”.

            Ich würde halt sagen, dass Glaubwürdigkeit durch das Einhalten gewisser Konventionen überhaupt erst erzeugt wird. Und dass sich diese Konventionen von Film zu Film unterscheiden. Ich stimme dir zu, dass es hier ein subjektives Moment gibt, wie stark mich der Bruch der Glaubwürdigkeitskonvention stört. Aber ich behaupte, dass bei jeder Zuschauerin irgendwann eines von zwei Alternativen geschieht: Entweder sie steigt aus dem Film aus oder sie hinterfragt sich, ob der Film nicht einem anderen Genre als gedacht angehört.

          6. Tamino Muth

            @Sumpfohreule

            1. Ich stimme dir erstmal zu, dass ich es auch schön fände, wenn sich Hollywood nicht so sklawisch an Tropes abarbeiten würde wie in der heutigen Kinolandschaft. Es geht ja quasi immer nur noch um Schicksal oder „wir sind eine Familie“, selbst in The Fast and the Furious. Interessante Protagonisten mit Charakterschwächen werden dagegen immer seltener. Man sieht nur noch blasse Gespenster wie Chris Pratt. Ich würde deswegen aber nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten wollen. Unser filmisches Grundgerüst bei z. B. Narrationsmechanismen halte ich für wertvoll und sehr brauchbar. Fähige Künstler sollten einfach daran feilen und es entwickeln, anstatt dass Strohmannregisseure für Filmstudios immer den gleichen Film nochmal drehen. Ersteres erzeugt The Dark Knight, letzteres quasi jeden Marvel-Film. Ich glaube man kann eine Menge Wundervolles mit dem tun, was sich im Medium Film entwickelt hat, es müssen nur wieder mehr Künstler Regisseure sein und keine Auftragsarbeiter.

            Du fragst: Ist es sinnvoll und notwendig, sich an filmische Regeln zu halten? Ich würde sagen: für gewöhnlich ja – es sei denn, man hat ein so großes künstlerisches Talent, dass man sie erweitern kann. Das habe ich versucht, in meiner langen Antwort darzustellen. Wenn Grundregeln bei Filmen nicht eingehalten werden, entstehen meistens Filme, die einfach scheitern und nur manchmal entsteht der Geniestreich. Auch das „Efrischende“, wie du es nennst, wirkt meist nur so, weil wir das, was fast immer funktioniert, gewöhnt sind (erinnere dich an mein Beispiel mit der Punkmusik.) Man muss ja nicht zwingend eine mythische Hero’s Journey erzählen, aber – und das ist der Knackpunkt – man muss höchstwahrscheinlich genauso verstanden haben, warum diese so gut funktioniert, damit man etwas anderes erzählen kann. Das bloße Ignorieren des bereits Funktionierenden wird selten das hervorbringen wie das das bewusste Umgehen oder Weiterentwickeln desselben.

            2. Ich glaube nicht, dass meine Aussage eine Tautologie ist. Es ist einfach nahe liegend anzunehmen, dass in quasi jedem Film versucht wird, eine kohärente Geschichte zu erzählen. Oder würdest du mir da schon widersprechen? Genau wie Daniel auch geantwortet hat, besteht zwischen einem Lynch oder Jodorowsky doch ein gewaltiger Unterschied zur restlichen Filmlandschaft. Für gewöhnlich folge ich doch der Geschichte und den Figuren eines Films. Und um das zu ermöglichen, muss Kohärente vorliegen. Ich sehe jedenfalls nicht, wie hier eine ähnlich traumartige Erfahrung beim Zuschauen gemacht werden könnte wie in Mulholland Drive. Ich kann die meisten Filme schlichtweg nur „normal“ rezipieren. Wie viel Wert genau auf eine kohärente Geschichte gelegt werden muss, ist natürlich im Einzelfall zu bemessen, aber generell bin ich persönlich jemand, der die Kritik eines Filmfans vorzieht, der den Inhalt eines Werks genau unter die Lupe nimmt im Gegensatz zu jemandem der sagt, man solle „das Hirn bei der Sichtung eines Films einfach ausschalten“. Ich schaue auch Filme, wo ich das tue, aber wenn mir so Into Darkness oder The Last Jedi verkauft werden soll, dann kann ich da leider nicht mitgehen, da ich dies für keine angemessene Rezeption dieser Filme halte. Ich störe mich enorm an dem hanebüchenden Plot solcher FIlme und wenn dann jemand kommt und sagt „aaaaach, Hirn aus, bunte Bilder angucken, tolles Pocornkino“, dann muss ich – auch auf die Gefahr hin, dass das arrogant klingt – sagen, dass ich mich da filmisch für etwas reifer halte, als jeden Film nur so gucken zu können, wenn ich ihn den mögen will. Gerade in Bezug auf Star Trek oder Star Wars kann ich das jedenfalls einfach nicht oder anders gesagt: wenn ich das könnte, dann wäre es für mich nur irgendein belangloser Schrott wie John Carter.

            3. Ich finde das Musikbeispiel, wie schon erwähnt, äußerst schwierig, denn man kann die perfekt getroffene Note für meinen Geschmack nicht mit etwas wie der Geschichte ohne Plotholes vergleichen. Es geht ja immer um den Kontext dessen, was erreicht werden soll. Gerade im Metal ist eine „perfekte“ Produktion eben meist nicht die, die besonders klar ist, sondern gerade eine, die durch einen gewissen Charakter eine Atmosphäre erzeugt. Genauso erzeugt ein Gesang, der nicht jede Note perfekt trifft, eine besondere Stimmung. D. h. es gibt sehr wohl Argumente gegen die vermeintliche „Perfektion“ – nur im Grunde ist die Perfektion hier nicht das genaue Treffen des Tons, sondern den Punkt zu finden, der an der richtigen Stelle daneben liegt. Aber wie ich schon sagte, ich sehe bei einem Plothole nicht, wie es JEMALS etwas gutes sein könnte. Es sorgt doch immer dafür, dass die Immersion gebrochen wird, oder würdest du mir hier widersprechen (Ausnahme wie gesagt ist Abstraktes wie Lynch etc.)? Wenn man den Plot von Episode 1 als gut befindet, dass ist das schlichtweg falsch, weil nichts einen Sinn ergibt, was hier passiert. Das Szenario wird nicht erklärt, die Geschichte und die Handlungen unserer Figuren ergeben keinen SInn usw. Nun gibt es Leute, die sagen halt, dass sie den Film toll finden, weil Lichtschwerter und Raumschlachten vorkommen. Es ist mir einfach nicht möglich, dass als genau so elaborierte Meinung neben der meinen zu akzeptieren. Wenn man Filme nur so konsumieren kann, dann ist das qualitativ ungefähr so, wie einen Roman wegen des hübschen Covers zu loben. Wie gesagt, ich habe absolut nichts dagegen, auch mal gewisse Filme so zu gucken, aber nicht mal zu verstehen, wieso der Plot von Episode 1 so unendlich mies ist, ist einfach etwas, was die Meinung eines solchen Menschen für jedwede OBJEKTIVE Filmdiskussion disqualifiziert. Subjektiv kann er natürlich alles so empfinden wie er will, aber eine sonderlich fruchtbare Diskussion wird daraus wohl kaum entstehen. Würdest du mir hier irgendwo widersprechen?

          7. Daniel Beitragsautor

            Man muss ja nicht zwingend eine mythische Hero’s Journey erzählen, aber – und das ist der Knackpunkt – man muss höchstwahrscheinlich genauso verstanden haben, warum diese so gut funktioniert, damit man etwas anderes erzählen kann. Das bloße Ignorieren des bereits Funktionierenden wird selten das hervorbringen wie das das bewusste Umgehen oder Weiterentwickeln desselben.

            Wie so oft würde ich das etwas abgeschwächter, relativierter sagen. Aber es ist ein sehr guter Punkt.

          8. Sumpfohreule

            Hallo Tamino,

            vermutlich war der hinter deiner Formulierung stehende Gedanke nicht tautologisch, du hattest ihn halt nur so formuliert (vergleichbar, als wenn du zum Beispiel geschrieben hättest „Rechtschreibfehler sind immer etwas objektiv Schlechtes, wenn man davon ausgehen kann, dass ein Text orthographisch korrekt sein soll.“)
            Aber ich will mich gar nicht an Kleinigkeiten aufhängen.

            Vermutlich gibt es wenige Filme, die gezielt Plotholes einsetzen. Mir fällt die letzte Szene von „The Shining“ ein, die im narrativen Kontext des Films keinen Sinn ergibt. Das ist eines von vielen Mitteln, die Kubrick in diesem Film einsetzt, um den Zuschauer zu desorientieren, hinzu kommen absichtlich falsche Architektur, gezielte Continuity-Fehler etc.

            Das ist dann aber vielleicht die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

            Ich will auch gar nicht in Abrede stellen, dass Plotholes ärgerlich sein können. Und ich freue mich auch sehr darüber, wenn Regisseur und Drehbuchautor sehr sorgfältig darum bemüht sind, dass der Film Sinn ergibt. Beispielsweise wenn man nach dem finalen Twist von „Fight Club“ im Nachhinein versteht, wie viele Szenen, die vorher irgendwie seltsam wirkten, plötzlich Sinn ergeben.

            Umgekehrt kann ich aber beispielsweise über das Riesen-Plothole in der Mitte von „Zurück in die Zukunft II“ hinwegsehen. Ja, der Film wäre „besser“ ohne das Plothole. Wichtig finde ich es, in diesem beispielhaften Fall, trotzdem nicht.

            Das alles ist aber eigentlich gar nicht so sehr mein Punkt. Mir geht es eher darum, dass diese „Regeln der Kunst“, nach denen wir glauben, objektiv zu messen, dann vielleicht doch sehr willkürlich und zufällig sein könnten.

            Du magst das Musik-Beispiel nicht. In Ordnung, nehmen wir als Beispiel die Malerei. Über viele Jahrhunderte gab es wechselnde Regeln, wie ein künstlerisch gelungenes Bild auszusehen hat. Diese Regeln haben zu Meisterwerken geführt. Gleichzeitig aber auch dazu, dass man Künstler zu Lebzeiten verkannt hat und teilweise erst nach ihrem Tod verstanden.

            Letztlich sind diese „Regeln der Kunst“ auch Denk-Paradigmen, in denen wir stecken. Selbstverständlich kann niemand seiner selbst voraus sein. Wir können uns nicht in ein Bewusstsein hineindenken, das weiter ist als unser eigenes. Ich würde nur davor warnen, solche Regeln zu verabsolutieren und zu glorifizieren. Sicherlich geben sie uns Halt, sie sind aber gleichzeitig auch die Käfigstäbe unseres Gefängnisses.

            Ich glaube, ich hab hier viel zu viel geschrieben. Und habe auch ein schlechtes Gewissen, weil ich die Diskussion zwischen dir und Daniel gehijacked habe. Das war nicht meine Absicht, sorry dafür. 🙂

          9. Daniel Beitragsautor

            Ich glaube, ich hab hier viel zu viel geschrieben. Und habe auch ein schlechtes Gewissen, weil ich die Diskussion zwischen dir und Daniel gehijacked habe. Das war nicht meine Absicht, sorry dafür. ?

            Dafür musst du dich nicht entschuldigen! ?

          10. Sumpfohreule

            Du, Daniel, schriebst: „Ich würde halt sagen, dass Glaubwürdigkeit durch das Einhalten gewisser Konventionen überhaupt erst erzeugt wird“

            Ja, wir könnten ein „Regelwerk glaubwürdiger Erzählungen“ aufstellen.
            Ich habe auch nichts gegen Regeln. Regeln sind hilfreich, damit Kreatives entsteht. Mein Problem beginnt mit der Absolutsetzung von Regeln. Wir können objektiv feststellen, ob ein Werk sich an bestimmte Regeln hält oder nicht. Heikel wird es, wenn wir daraus ableiten, das Werk sei „objektiv gut“ oder „objektiv schlecht“.

            Je länger ich über das Thema „Regeln“ nachdenke, desto häufiger kommt mir Lars von Triers „Idioten“ in den Sinn. Lars von Trier hatte zusammen mit ein paar befreundeten Regisseuren das „Dogma 95“-Manifest veröffentlicht: Ein Regelwerk, auf bestimmte Kino-Techniken (z.B. Spezialeffekte, Filter, künstliche Beleuchtung) und inhaltliche Themen (z.B. Waffengewalt, Morde) zu verzichten. Mit „Idioten“ hat er dann einen Film innerhalb dieses Dogmas gedreht, der gleichzeitig inhaltlich eine Parabel auf das „Dogma“ darstellt: Es geht um Menschen, die sich selbt die Regel auferlegen, sich wie geistig Behinderte zu verhalten. Sie beschränken/behindern sich selbst, so wie die „Dogma“-Regeln Beschränkungen/Behinderungen des filmischen Erzählens darstellen.

            Es gibt Regeln, die willkürlich sind, und von denen jeder weiß, dass sie willkürlich sind. Alle Spielregeln fallen unter diese Kategorie: Damit das Spiel funktioniert, müssen sich alle an die Regeln halten. Die Regeln sind nur insofern zwingend, als sie das Spiel ermöglichen, aber sie sind nicht „Naturgesetze“ oder „gottgegeben“. Ganz andere Regeln wären möglich – dann würden daraus halt andere Spiele entstehen.
            Man könnte das mit dem „suspension of disbelief“ vergleichen, den bestimmte Genrefilme vom Rezipienten erfordern. Wenn ich in den Superhelden-Film gehe, muss ich mich eben auf die Regel einlassen, dass Menschen fliegen können und Superkräfte haben.
            Diese Regeln sind gewissermaßen ein (manchmal unausgesprochener) Pakt zwischen Macher und Rezipient, oder zwischen Spielleiter und Spieler.
            Manchmal, wenn das Spiel zu langweilig wird, kommt dann vielleicht der gezielte Regelbruch, und man geht mit einem veränderten Regelset ins nächste Spiel über.

            Problematisch wird es, wenn wir Regeln für „Naturgesetze“ halten. Irgendetwas „müsse halt so sein“. Aus Aristoteles‘ Poetik hat man die „drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung“ abgeleitet (obwohl Aristoteles keine Einheit des Ortes erwähnt). In der Französischen Klassik im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Einhaltung dieser Einheiten als zwingend angesehen – weswegen man Shakespeares Dramen geringschätzte, weil die sich eben nicht an diese drei Einheiten hielten. Diese Dramen galten damals als „objektiv schlecht“.

          11. Daniel Beitragsautor

            Ich glaube, wir haben verschiedene Regel-Definitionen. Während des Studiums habe ich zig mal Max Blacks Text über Regeln gelesen. Leider komme ich gerade weder auf den Titel des Textes, noch bekomme ich alle Regeldefinitionen zusammen. Aber die Pointe kenne ich noch: Blax legt schön dar, dass es viel mehr verschiedene Spielarten von Regeln gibt, als du sie hier darlegst. Klar: Es gibt Naturgesetze, die du nicht brechen kannst, das sind sicher nicht die Arten von Regeln in Filmen. Es gibt aber auch Regeln, deren Nichteinhaltung zu Bestrafungen führen. Das sind zum Beispiel Spielregeln. Doch auch von dieser Art von Regeln spreche ich nicht. Denn es gibt auch noch Regeln, bei deren Nichteinhalten die Handlung schlichtweg misslingt. Zum Beispiel bei Kochrezepten. Und ganz ähnlich verhält es sich bei filmischen Regeln. Wenn ich, wie ‚The Room‘ einfach zu viele filmische Konventionen ignoriere, dann scheitert mein Film. Andererseits bekommen Gerichte oft auch das gewisse Extra, wenn ich mich nicht sklavisch an das Rezept halte, sondern variiere, nach Gefühl koche. Und ganz ähnlich verhält es sich eben auch bei Filmen. Du kannst einen Film nicht drei Stunden im Ofen lassen, dann verbrennt er. Aber hier eine Prise Zimt, da ein Spritzer Zitronensaft machen deinen Film besser als die bloße Wiedergabe dessen, was du auf der Filmschule gelernt hast. ?

          12. Sumpfohreule

            Der Vergleich mit dem Kochen gefällt mir sehr gut.

            Ich würde sagen, bei Kochrezepten überlagern sich drei Arten von Einflussfaktoren:
            * objekte Naturgesetze: Ein gewisser Anteil von Kochen ist schlicht Chemie und Physik: Emulsionen, Festkörperdispersionen. Verschiedene Materialien verhalten sich unter Hitze oder Kälte unterschiedlich, gehen miteinander Verbindungen ein etc. Wenn das Essen anbrennt oder die Sauce klumpig wird, ist das schlicht Naturwissenschaft.
            + grundlegende menschliche Biologie/Psychologie: Menschen vertragen, mit individuellen Unterschieden, nur Nahrungsmittel, die bestimmte Grenzwerte z.B. bzgl Schärfe, Salzigkeit etc. einhalten. Werden diese Grenzwerte überschritten, geht das Alarmsystem an, und der Mensch spuckt aus oder übergibt sich.
            * intersubjektive kulturelle Übereinkünfte: In bestimmten Kulturkreisen gelten verschiedene Speisen als verschieden lecker. Die Römer haben viel süßer gegessen als wir heute. Im asiatischen Raum gilt häufig das Fleisch direkt am Knochen als besonders schmackhaft, während wir im westlichen Raum häufig Fleisch ohne Knochen essen. Eskimos und Inuit lieben sehr fettes Essen, vor dem Afrikaner eher zurückschrecken. Das hat selbstverständlich auch viel mit dem Klima zu tun, in dem verschiedene Kulturkreise leben, aber auch welche Pflanzen dort traditionell angebaut werden.
            * individuelle Vorlieben: durch individuelle Biologie oder Sozialisation bedingt

            Den letzten Punkt können wir vermutlich für die Diskussion beiseite legen. Das wäre im Bereich Film sowas wie „Ich kann mit ‚Star Wars‘ nichts anfangen.“
            Für unsere Diskussion scheinen die ersten drei Punkte interessant.

            Die Frage ist halt: Was meinen wir, wenn wir von „objektiv gut“/“objektiv schlecht“ sprechen? Ist die Hero’s Journey deshalb „erfolgreich“, weil sie ein überkulturelles grundlegendes menschliches psychologisches Muster triggert oder ist sie einfach eine kulturelle Übereinkunft (die dann evtl. gerade deshalb perpetuiert wird, weil wir als Quasi-Naturgesetz behandeln)?
            Wie gesagt, auch Shakespeares Dramen oder Vincent van Goghs Gemälde galten zu bestimmten Zeiten als „objektiv schlecht“.

          13. Daniel Beitragsautor

            Das ist doch eine schöne Analyse. Ich bin ganz klar auf der Seite, dass solche Regeln konventionell und damit änderbar sind. Da bringe ich gleich das nächste Beispiel: Wittgenstein vergleicht den Sprachwandel an einer Stelle mit einem Fluss. Es gibt Element, die unterliegen der Mode und ändern sich wie das fließende Wasser. Dann gibt es Elemente, die sich langsamer ändern, wie das Sediment, aber noch immer schnell genug, um es zu merken. Weiter gibt es die Felsen, deren Veränderung sich so langsam vollzieht, dass du es in einer Lebzeit schon nicht mehr bemerken kannst. Und zu guter Letzt gibt es vermeintlich unveränderliche Elemente, wie den Flusslauf, die sich aber, wenn man einen Maßstab von Zeitaltern ansetzt, sich doch auch ändern. Ich denke dies lässt sich nicht nur auf die Sprache, sondern auch auf das übertragen, was wir filmische Regeln genannt haben.

          14. Sumpfohreule

            Miit diesem Schlusswort kann ich gut leben.

            Für den späten Wittgenstein habe ich ein großes Herz (im Gegensatz zum frühen, der sich mit seinem „Tractatus“ sehr verrannt hat).

          15. Daniel Beitragsautor

            im Gegensatz zum frühen, der sich mit seinem “Tractatus” sehr verrannt hat

            Darüber könnten wir nun die nächste Diskussion führen, aber das machen wir mal an einer anderen Stelle zu einer anderen Zeit. 😉

  4. Sumpfohreule

    Ich habe viel über diese schöne Folge nachgedacht, und möchte noch zwei Gedanken teilen.

    Zum einen kenne ich eine Filmjournalistin, die wahnsinnig schöne Texte aus einer sehr subjektiven Sicht schreibt. Das ist die Autorin Silvia Szymanski, die auf „Hard Sensations“ in unregelmäßigen Abständen ihr „Filmtagebuch einer 13jährigen“ veröffentlicht.
    Subjektive Filmbesprechung kommt ja bei euch tendenziell weniger gut weg; vielleicht weil auch immer der Verdacht im Raum steht, hier läge eine weniger tiefe gedankliche Durchdringung und sprachliche Ausgestaltung der Kritik vor? Für mich sind Silvias Texte ein sehr schönes Beispiel für gelungene subjektive Reflexion über Filme.
    Ich lasse einfach mal einen Link da, falls ihr selbst mal hineinlesen mögt:
    https://www.hardsensations.com/2016/04/filmtagebuch-einer-13-jaehrigen-16-15-hofbauerkongress/
    Ob Silvia auch bei Podcasts mitspricht, weiß ich nicht; ich habe sie aber einmal bei einer Podiumsdiskussion gesehen.

    Der andere Punkt ist das von Jan am Ende eures Gesprächs angesprochene Problem des „straight white male“-Übergewicht innerhalb der Filmkritik. Vielleicht wäre es schön, wenn ihr mal jemanden aus dem Queer/Trans-Bereich als Gast/Gästin im Podcast hättet? Mir fällt die Journalistin Lara Kaa vom Polygamia-Podcast ein. Sie spricht hauptsächlich über Games, liebt aber auch Filme, und war beispielsweise auch beim „Devils & Demons“-Podcast zum Film „Perfect Blue“ zu Gast.

    Ganz liebe Grüße!

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