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SF62 – Barton Fink (Followbruary)

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Daniel
Ein einsamer Moskito


Ein Spätfilm-Telegramm zum Followbruary

Dieser Film der Coen-Brothers ist unglaublich dicht. Daniel reißt drei Themen an, die er herausgearbeitet hat, ohne dass das dem Film auch nur ansatzweise gerecht wird. Barton Fink ist ein Lieblingsfilm von Keith. Daniels Liste findet ihr hier.

Die Eckdaten zu Barton Fink

Erscheinungsjahr: 1991
Regie: Joel Coen, Ethan Coen
– Filmographie:
1984
: Blood Simple
1990: Miller’s Crossing
1991: Barton Fink
1996: Fargo
1998: The Big Lebowski
2000: O Brother, Where Art Thou?
2007: No Country for Old Men
2008: Burn After Reading
2009: A Serious Man
2010: True Grit
2013: Inside Llewyn Davis
2016: Hail, Caesar!
Budget: 9 Mio $
Einspielergebnis: $6.2 million (USA)
Besetzung: John Turturro (Barton Fink), John Goodman (Charly), Judy Davis (Audrey Taylor), Michael Lerner (Studioboss), John Mahoney (W.P. Mayhew), Tony Shalhoub (Ben Geisler), Steve Buscemi (Portier)
Genre: Tragikomödie, Thriller, Drama, Period Pic

Fazit

Barton Fink ist ein sehr dichter Film und ich werde ihn noch öfter sehen müssen, bevor ich beurteilen kann, was genau alles drinsteckt. Es geht aber auf alle Fälle um einen Pakt mit dem Teufel, das Versagen der intellektuellen Linken und einen Moskito. Das alles ist genauso sehenswert wir Barton Finks Frisur.

Hörenswert

  • The Canon über O Brother, Where Art Thou?
  • Unsere Folge zu Fargo

1926 – Faust – Eine deutsche Volkssage

Friedrich Wilhelm Murnau darf natürlich nicht fehlen, wenn ich mich durch die goldene Epoche des deutschen Films gucke. Allerdings, ach, ich muss euch sagen: so richtig warm werde ich nicht mit ihm. Vor Jahren habe ich mal Sunrise gesehen und der hat mir echt gut gefallen, aber als wir letztes Jahr im Spätfilm Nosferatu besprachen war ich eher unterweltigt. Faust – Eine deutsche Volkssage liegt nun irgendwo dazwischen. Insgesamt finde ich ihn besser als Noferatu, er zeigt schöne Shots – das kann Murnau – und baut im ersten und dritten Akt auch einiges an Spannung auf. Doch der zweite Akt wirkt wie mein Wohnzimmer, wenn meine elf Monate alte Tochter dadrin zwei Stunden gespielt hat. Aber der Reihe nach …

Faust war der letzte Film Murnaus in Deutschland, bevor ihn der Ruf aus Hollywood ereilte. Den Mephisto spiel Emil Jannings, der ebenfalls kurz darauf nach Hollywood ging, dort den ersten Oscar überhaupt für eine männliche Hauptrolle gewann und bis dato den einzigen Oscar, den ein Deutscher in dieser Kategorie ergattern konnte. Allerdings konnte sich Jannings mit Hollywood nicht arrangieren und kehrte nach Deutschland zurück, wo er sich mit den Nazis anscheinend besser arrangieren konnte. Es waren eben nicht alle Filmschaffenden Antifaschisten.

Die Handlung in fünf Sätzen

Die groben Eckdaten dürften bekannt sein, allerdings bezieht sich Murnau explizit nicht auf den Text von Goethe sondern auf den schon vom ollen Wolle adaptierten Stoff. Es beginnt mit der Wette zwischen Mephisto und dem Erzengel Michael, dass derjenige über die Erde herrschen darf, dem es gelingt, Fausts Seele zu erobern. Folglich sehen wir nun das buhlen von Mephisto um Faust. Hier fügt Murnau die erste Änderung ein, die noch gut funktioniert: Denn in Fausts Städtchen grassiert, dank Mephisto, die Pest und Mephisto ködert ihn damit, dass er ihm helfen kann, ein Heilmittel zu finden. Das gibt dem Charakter eine glaubhafte Motivation, sich überhaupt mit dem Teufel einzulassen. Leider hat Faust gewisse „Probleme“ beim Vollzug der Heilung und so bemerken Fausts Mitbürger den Pakt mit dem Teufel und wollen ihn steinigen. Jetze denkt sich der olle Faust: „Ach, was soll’s, wo ich schon mal dabei bin, kann ich auch weitermachen mit dieser Mephisto-erfüllt-mir-Wünsche-Nummer.“ und es folgt die bekannte Nummer, dass Faust wieder jung sein darf, allerdings erst einmal nur für einen Probetag.

Jetzt fängt der Film an, konfus zu werden, denn als nächstes machen Faust und Mephisto erst einmal einen Trip nach Parma. Klar, Italien fand ja schon Goethe fein, daher wollen die beiden sich das auch nicht entgehen lassen und Faust stiehlt da eine Herzogin vom Hochzeitsfest während sich Mephisto mit dem gehörnten Bräutigam duelliert. Während Faust und die Herzogin pimpern, läuft der Probetag ab und Faust so: „Egal, bleib ich halt jung und angel mir die nächste Braut.“ Was aus der Herzogin wurde, bleibt unklar. Die nächste, der Faust an die Wäsche will, ist dann natürlich Gretchen.

Es folgt eine total sinnbefreite Episode bei Gretchens Muhme Marthe, die im wesentlichen daraus besteht, dass verschiedene Leute sich gegenseitig Liebestränke einflößen und/oder sich liebestoll gegenseitig durch den Garten jagen.

Am Abend folgt dann das, was die Wikipedia „Gretchen gewährt Faust schließlich Zugang zu ihrer Kammer“ nennt, was aber in der Bildsprache eine ganz klare Vergewaltigung ist – ich werde darauf zurückkommen. Gretchens Bruder will ihre Ehre wiederherstellen und duelliert sich mit Faust, aber er stirbt und verflucht im Sterben Gretchen, die als Dirne dann an den Pranger gestellt wird.

Nach einem Zeitsprung ist es Weihnachten und wir sehen, dass die mittlerweile obdachlose Gretchen durch die Vergewaltigung schwanger wurde und ein Kind bekommen hat. Sie versucht im Maria-Style sich vor einem Schneesturm zu schützen, indem sie in der Stadt rumgeht und für sich oder wenigstens das Kind Obdach erbittet. Aber in der Stadt leben nur Arschlöcher und schließlich legt Gretchen das Kind im Fieberwahn in eine Schneewehe, die sie für eine Krippe hält. Die Stadtwache findet sie und das erfrorene Baby und ist absurderweise sofort überzeugt, dass Gretchen das Kind umgebracht hat. Gretchen kommt auf den Scheiterhaufen und ruft dort nach Faust, der sich urplötzlich daran erinnert, dass er Gretchen liebt und zur Rettung eilt. Doch Mephisto verwandelt ihn flux zum Greis zurück. Aber weil Gretchen ihn so sehr liebt, sieht sie durch die Falten hindurch ihren Lover und beide sterben in Liebe vereint auf dem Scheiterhaufen.

Im Epilog fordert Mephisto die Erde ein, aber Michael meint nur so: „Nö, weil: Liebe!“

DAFUQ?

Die Inszenierung

Man sieht – trotz der schlechten Qualität der im Netz frei verfügbaren Versionen – dem Film an, dass er wesentlich mehr Budget hatte, als noch Nosferatu, er mischt die realistisch-romatische Bildgestaltung aus Nosferatu nun mit expressionistischer Kulisse. Wir sehen mehr spitze Winkel und Verzerrungen, die wir in Das Cabinet des Dr. Caligari kennen und schätzen lernten. Außerdem kommt zu Murnaus Spiel mit Licht und Schatten hier noch ein drittes Element hinzu: Rauch. Da dampft und qualmt es aus allen Ecken und Enden! Insgesamt sind die Specialeffects sehr beeindruckend, besonders hervorzueben ist dabei die Beschwörung Mephistos, bei der Kulisse, Kameraarbeit, Montage, Schauspiel und Spezialeffekte perfekt ineinandergreifen. Wenn der ganze Film so gewesen wäre, wäre ich absolut begeistert:

Murnau arbeitet mit vielen, langen Close-Ups. In langen Takes zeigt er die Gesichter seiner Schauspieler in Nahaufnahmen und lässt diese Gesichter sprechen. Das zweite Element, das in der Inszenierung hervorsticht sind Detailshots auf wichtige Plottdevices. Murnau kombiniert dies mit eine Proto-Variante des dramatischen Zooms: So sehen wir eine Kamerafahrt auf die Sanduhr, die uns zeigt, dass Fausts Zeit abläuft.

Screenshot aus Faust - Eine Deutsche Volkssage. Lizenz: gemeinfrei.

Screenshot aus Faust – Eine Deutsche Volkssage. Lizenz: gemeinfrei.

Aber noch beeindruckender ist ein Trackingshot, der als Zoom-Out fungiert und mit einer amerikanischen Einstellung auf Mephisto beginnt, aber dann den Bildaufschnitt immer weiter aufzieht, bis wir in der Totalen den ganzen Raum sehen, in den dann von vorne Faust und Frau Parma das Bild betreten. An solchen Szenen sieht man wirklich, dass Murnau sein Handwerk verstand, es wird verständlich, warum Hollywood ihn umbedingt haben wollte und auch woher so mancher Trick aus der Kiste seines Schülers/Praktikanten Alfred Hitchcock stammt.

Die Vergewaltigungsszene

Aber Murnaus Filme sind ja ein Spiel mit Licht und Schatten. Und Schatten fällt vor allem auf die Vergewaltigungsszene. Möglicherweise ist es nur ein Halbschatten, das bleibt zu klären. Wer wissen möchte, warum Vergewaltigungen in Filmen fast immer problematisch sind, dem empfehle ich unsere Folge zu Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande und den dort empfohlenen Artikel vom FILM CRIT HULK.

Screenshot aus Faust - Eine Deutsche Volkssage. Lizenz: gemeinfrei.

Screenshot aus Faust – Eine Deutsche Volkssage. Lizenz: gemeinfrei.

Die Inszenierung der Vergewaltigung ist zunächst einmal sehr stark: Sie ist so subtil, dass sie dem Wikipediaautor entgangen ist und spricht doch eigentlich Bände. In einer „Kurzer-Rock-Metapher“ steht Gretchen abends am offenen Fenster und Faust sieht darin eine Einladung in ihr Zimmer einzusteigen. Gretchen sieht das allerdings anders – ein offenes Fenster ist noch lange kein Grund dafür, dass ein Mann zudringlich werden darf – und hält im wahrsten Sinne es Wortes dagegen, indem sie versucht das Fenster zuzudrücken. Doch der stärkere Faust dringt schließlich gewaltsam ins Zimmer ein. Das ist Filmkunst auf höchstem Niveau: Ohne einen Zentimeter nackte Haut zu zeigen, macht hier Murnau alles klar und hätte er es dabei belassen, wäre alles gut. Aber dann baut er gleich zwei üble Wendungen ein. Nach zwei Szenenechseln sehen wir nämlich Gretchen glücklich in Fausts Armen liegen und das ist dieses beschissene Macho-Klischee, mit denen seit Jahrtausenden Vergewaltigungen gerechtfertigt werden: Sie will es, sie weiß es nur noch nicht. Wir haben im Spätfilm schon einmal im Zusammenhang von Goldfinger darüber gesprochen, der genau den gleichen Trope verwendet.

Aber damit noch nicht genug: Murnau packt gleich noch einen zweiten problematischen Trope hintendrauf, indem er die Vergewaltigung als Plott-Device einsetzt für den Standard-Trope, der in Filmen fast immer auf Vergealtigungen folgt: die Rache. Obendrein darf nicht einmal Gretchen sich selbst rächen, denn sie genießt es ja, sondern ein ECHTER MANN, nämlich ihr Bruder muss den Rache-Part übernehmen. Das ist (mit Sicherheit auch schon 1926) ein solch abgenutzter Trope, der einfach nur von faulem Drehbuchschreiben zeugt …

Allerdings, dass möchte ich nicht verschweigen, bringt Murnau noch zwei weitere Brechungen ein, die eben nur einen Halbschatten daraus machen. Zum einen muss man bedenken, dass bei der ganzen Szene Mephisto die Fäden in der Hand hielt, dass also alle Beteiligten nur fremdgesteuerte Marionetten waren. Ob das die problematische Inszenierung besser macht, weiß ich nicht, denn Mephisto ist ja das Symbol für das Böse und zu wenig Bosheit war nicht das Problem der Szene. Aber die folgenden Szenen hellen das düstere Bild, das Murnau von Gretchen zeichnet, auf. Denn der komplette Schluss des Films dreht sich um Victim-Blaiming. Ob es nun eine Vergewaltigung war oder Gretchen es doch irgendwie wollte, von da an wird sie von allen nur noch wegen des Sex fertiggemacht. Und Murnau verurteilt das. Seine Bildsprache ist hier eindeutig: Er setzt Gretchen mit der Mutter Gottes gleich und zeigt eine unbarmherzige Welt, die komplett unchristlich auf sie reagiert.

Doch diese Brechung macht Murnau am Ende dann selbst wieder kaputt durch seinen cheesigen „Weil Liebe“-Schluss. Ich meine: Wo war Faust, als seine ach so Geliebte mit dem gemeinsamen Kind auf der Straße lebte und gegen das Erfrieren kämpfte? Als es darum ging, Verantwortung für seine Tat zu übernehmen, hat er sich nicht die Bohne um Gretchen geschert, aber Hauptsache am Ende einen Opfertod sterben, dann ist ja alles wieder gut, weil: Liebe.

Pfffff …