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Louie

Ich habe Louie gebinge-watcht. In den letzten 3-4 Wochen habe ich die vier Staffeln der Serie von und mit Louis (mit „s“ statt „e“) C. K. verschlungen. Das ist etwas besonderes, da ich schon lange auf der Suche war nach einer neuen Serie, die mich fesselt aber keine fand. Selbst die üblichen Verdächtigen konnten mich bis auf Game of Thrones nicht bei der Stange halten. Nur Louie hat das seit langem wieder geschafft.

Dabei dürfte die Dramedy mir eigentlich nicht gefallen. Denn einerseits gehört sie zum Subgenre der Fremdschämserien: Wir sehen in einem fort Louie scheitern, von einem Fettnäpfchen ins nächste stapfen und schlechte Entscheidungen fällen. So macht er mal „aus versehen“ mit seiner Freundin Schluss, nur weil sein Auto im Parkverbot steht und ein andermal wird er dazu verurteilt, Milliardären bis an sein Lebensende monatlich 5.000 Dollar zu zahlen, weil er der Milliardärstochter versehentlich ins Gesicht schlug, als diese ihn kitzelte.

Normalerweise kann ich solche Fremdschämserien nicht ertragen, da sie mir fast physische Schmerzen bereiten und bin daher etwa schon früh bei Stromberg ausgestiegen.

Der andere Grund, warum Louie eigentlich nicht mein Ding sein dürfte ist, dass der Humor von Louie phasenweise auch auf Teenager-Niveau ist. So sind die Folgen immer mit Stand-Up-Auftritten durchsetzt, in denen er oft Witze reißt, die auch am Ballermann gut ankämen. Aber auch im handelnden Teil der Serie versucht schon mal ein Zahnarzt sich von Louie mittels Lachgas einen Blowjob zu erschleichen.

Over the Top

Es gibt noch ein drittes Problem an „Louie“: Die Serie ist manchmal einfach „Over the top“. Sie legt eine Schippe zu viel drauf. Ich möchte das an drei Szenen erläutern:

Zunächst die oben erwähnte Szene, in der Louie versehentlich mit seiner Freundin schlussmacht. Dies passiert nur, weil er im Parkverbot geparkt hat und deshalb im Café dauernd nervös aus dem Fenster blickt. Seine Freundin merkt, dass etwas mit ihm nicht stimmt und zieht dann lauter falsche Schlüsse, bis sie mit ihm schlussmacht, weil er das doch scheinbar will aber nicht den Mut hat. Da die Freundin komplett unsympathisch ist, lädt die Serie zur Spekulation ein, dass Louie die Trennung vielleicht auch ganz recht ist. So weit so gut: Als Louie schließlich zu seinem Auto kommt, ist dieses schließlich auch noch mitten in einer Baustelle gefangen. Das wäre eigentlich der perfekte Schluss für diese Szene. Aber „Louie“ geht noch einen Schritt weiter, indem dann der Bagger Louies Auto komplett zerschrottet.

In einer anderen Szene sieht man ganz wunderbar, wie eng es in einem Linienflugzeug ist, indem ein adipöser Sitznachbar buchstäblich auf Louie sitzt, aber Louie nicht etwa sauer wird, sondern versucht das mit Freundlichkeit zu ertragen. Diese grandiose Szene wird dann aber wieder übertrieben indem Louie ein Glas Wasser bestellt und von der Stewardess einen Fingerhut voll gebracht bekommt.

In der dritten Szene, die ich als Beispiel heranziehen möchte für die Tendenz zu übertreiben, liegt Louie morgens im Bett und versucht vergeblich zu schlafen, weil die Müllabfuhr so einen Lärm macht. Es wird immer schön hin und her geschnittten zwischen dem sich im Bett wälzenden Louie und den Müllmännern. Irgendwann fällt einem auf, dass die Müllmänner nicht bloß ihren Job tun, sondern absichtlich mit Tonnen und Deckeln Lärm verursachen. Der Lacher ist da, die Serie könnte zur nächsten Szene voranschreiten. Tut sie aber nicht, sondern lässt die Müllmänner durch die Glasscheiben in Louies Schlafzimmer springen und dort ihren Radau fortsetzen…

Identifikationspotential

Und dennoch mag ich die Serie. Und zwar aus zwei Gründen: zum ersten kann ich mit Louie voll identifizieren. Er wohnt in der Großstadt (in seinem Fall New York) und muss sich mich mit den überteuerten Mieten rumschlagen. Zugleich hat er als Stand-Up-Comedian ein prekäres Beschäftigungsverhältnis. Er kämpft immer mit seinem Übergewicht. Aber vor allem ist er Vater zweier Töchter, muss sich mit deren Erziehung plagen, mit der Schule arrangieren und (vielleicht am schlimmsten) mit anderen Eltern interagieren. Im Gegensatz zu mir ist Louie geschieden und muss sich halbwöchentlich allein um seine Kinder kümmern. Aber das Identifikationspotential schöpft er schließlich vollends dadurch aus, dass er nicht so richtig im Klischee des Erwachsenenlebens angekommen ist. Er ist immer ein bisschen verpeilt, nie gut organisiert, durchgeplant, wohlsituiert und was man sonst noch so ist als Erwachsener. Aber dennoch ist er ein guter Vater, einfach weil er „da ist“ wie Pamela, eine wiederkehrende Nebenrolle – die Mutter eines Mitschülers seiner Tochter -, einmal sagt. Deshalb mag ich Louie.

Der andere Grund, warum ich die Serie mag, ist, der Blick von Louis C. K. Er hat fast permanent einen solch wunderbaren Hundeblick, dass man ihn einfach liebhaben muss. „I’m sorry“, ist seine am häufigsten geäußerte Floskel und dennoch trägt er sein Schicksal mit Würde. Das ist einfach eine tolle schauspielerische Leistung.

Meine Lieblingsfolge der Serie ist S3 E13 „New Year’s Eve“. Und diese Folge ist von so einer grandiosen tragikomischen Schönheit, dass sie geradezu an Chaplin erinnert. Daher möchte sie euch auch gar nicht spoilern, sondern raten: schaut sie euch an. Die 20 Minuten sind eine abgeschlossene Geschichte und sehr sehenswert. Danach könnt ihr euch entscheiden, ob ihr die Serie weitersehen wollt.

Louie wurde von FX Network produziert und wird laut IMDB auch noch fortgesetzt. Letzteres wäre meiner Meinung nach aber gar nicht nötig, da Staffel 4 eigentlich mit einem perfekten Serienfinale endet.

Leider erleidet Louie auch mal wieder den Urheberrechtsfrontalunfall, sodass lediglich Staffel 1 und 2 bei Amazon zu bekommen* sind, bei iTunes ist die Serie gar nicht vertreten, genausowenig wie auf Watchever. Lediglich auf Youtube finden sich ein paar Schnipsel. Aber ich gehe davon aus, dass ihr wisst, wie ihr sie dennoch sehen könnt.

P.S.: Wer mehr über die Absurditäten des Urheberrechts erfahren wollt, dann gibt es da so ein Buch… 😉

 

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