Zur 40. gibt es das Debüt von Hitchcock auf dem Regiestuhl
Wir konnten uns nicht entscheiden, ob wir lieber essen oder teleportieren. Dafür haben wir supernutzlose Superkräfte. Im Rahmen unserer Erstlingswerke-Reihe begaben wir uns zu den Showgirls in den Pleasure Garden, bekamen Ärger mit dem italienischen Zoll, drehten einen Film für Daniels Mutter, erfuhren, was die Menstruation ist und brachen mit Show, don’t tell aus einem High Angle.
Ach ja: Wir spoilern auch.
Vielen Dank an: Enough Talk, die CineCouch, Picknick am Wegesrand, die Second Unit, den Sneakpod, die Speckschau, den Spoiler Alert, den Voyager Rewatch Podcast und die Wiederaufführung.
Vorgeplänkel
Wir beginnen mit einem vielstimmigen Spoiler-Alert-Sampler, für den uns jede Menge Podcasts ihre Stimmen liehen. Vielen Dank dafür! Im Detail stammen die Soundfetzen aus:
- Enough Talk: #001 – Vorstellung & The Terminator
- CineCouch: Folge 83: The Hobbit 3
- Picknick am Wegesrand: PAW 010: Der Ring im Ring – mit Pamela Rosenberg, feat. »Stalker«
- Second Unit: Mini Unit #06 (Chappie)
- Second Unit: Mini Unit #07 (Avengers: Age of Ultron)
- Sneakpod: #389 – Unfinished Business
- Speckschau: SPS#000 Nullnummer
- Spoiler Alert: SPA000 Teaser
- Spoiler Alert: SPA001 Shadow twittert nicht
- Voyager Rewatch Podcast: Start und Staffel I
- Wiederaufführung: WA001 Frau im Mond | Monpti
- Wiederaufführung: WA044 Aliens (Aliens – Die Rückkehr)
Die Musik im Hintergrund ist This or That von JArtist21, Lizenz: CC0.
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Eckdaten zu The Pleasure Garden
Erscheinungsjahr: 1925
Regie: Alfred Hitchcock
Besetzung: Virginia Valli (Patsy Brand), Carmelita Geraghty (Jill Cheyne), Miles Mander (Levett), John Stuart (Hugh Fielding)
Genre: Drama, Melodram
Der deutsche Titel lautet übrigens „Irrgarten der Leidenschaft“ ♦ Daniels Reise durch die Filmgeschichte findet ihr hier
Die Produktion von The Pleasure Garden
Hitch hatte 1925 schon so ziemlich jeden Job gemacht, den man an einem Filmset machen kann. Der Produzent und Chef der Gainsborough Studios, Michael Balcon erkannte sein Talent und setzte ihn auf den Regie-Stuhl.
Bereits 1922 hatte Hitch einmal Regie geführt, nachdem der eigentliche Regisseur Hugh Croise entlassen worden war, durfte Hitch noch ein paar Szenen drehen von Always Tell Your Wife. Danach durfte er dann noch Regie führen bei dem Film mit dem Titel Number 13, der aber vor Vollendung gecancelt wurde, da das Studio in finanziellen Schwierigkeiten war. Von dem Film existiert heute nur noch ein Bild.
Wegen der finanziellen Probleme arrangierte Michael Balcon eine Kooperation mit deutschen Studios. Das gab Hitch unter anderem die Chance bei der UFA am Set von F. W. Murnau in Babelsberg zu arbeiten und so von ihm zu lernen. Balcon vereinbarte eine Partnerschaft für fünf Filme zwischen Gainsborough Pictures und dem deutschen Studio Emelka. Und schließlich bekam Hitchcock auch seinen ersten Film als eine britisch-deutsche Co-Produktion: The Pleasure Garden.
Das Drehbuch stammte von Eliot Stannard, der insgesamt acht Drehbücher für Hitchcock schrieb, unter anderem auch The Lodger, was Hitchs erster großer Erfolg wurde. Alma Reville arbeitete als Cutterin und Regieassistentin bei The Pleasure Garden mit. Sie wurde 1926 Hitchcocks Frau und ihre Flitterwochen verbrachten sie am Comer See, an dem auch Szenen für The Pleasure Garden gedreht wurden.
Bei den Dreharbeiten ging einiges schief: Es begann damit, dass bei der Einreise nach Italien der Kameramann Gaetano di Ventimiglia sagte, sie sollten die Filmrollen vor dem italienischen Zoll verstecken, um so Gebühren zu sparen. Der Zoll fand das Material und hätte es um ein Haar beschlagnahmt. Der 26 Jahre alte Hitch erfuhr während der Dreharbeiten zum ersten Mal, dass es Menstruation gibt. Denn eine Schauspielerin konnte eine Szene, in der sie ins Wasser geht, nicht drehen und Hitch verstand einfach nicht warum, bis man ihn aufklärte. Dann wurde Hitch auch noch das Portemonnaie mit dem Budget darin geklaut. Sodass er sich am Ende Geld von seinen Mitarbeitern leihen musste, um den Film fertigzustellen. Später sagte er, dass er nach München, wo die Studioaufnahmen gemacht wurden, mit buchstäblich nur einem einzigen Pfennig zurückgekehrt sei.
Hitch war dann aber so stolz auf seinen ersten Film, dass er seine berühmte Unterschrift in den Abspann mitaufnahm.
Filmisches Erzählen in The Pleasure Garden
Wieviel Hitch steckt in The Pleasure Garden?
„While ultimately feeling a little out of place in the Hitchcock filmography, one can at least see the foundations being laid for a number of themes that would come to define much of the directors body of work.“
Adam Batty auf Hope Lies at 24 Frames Per Second
Hitchcocks zweiter Film, The Lodger, gilt als erster richtiger Hitch-Film. Dort hat er seinen Stil gefunden, dort gibt es das erste Cameo, the Lodger ist der erste Thriller etc. Dennoch fragten wir uns, ob sich nicht auch in The Pleasure Garden Elemente des typischen Hitchcock-Stils finden lassen.
- Als erstes Element fanden wir den teilweise schon sehr albernene Humor, den Hitch immer wieder mit der dramatischen Handlung verwebt.
- Das Motiv der weiblichen Sexualität ist in dem Film zu finden.
- Genauso das Motiv der Obsession und des Voyeurismus.
- Der High-Angle-Shot ist ein Markenzeichen von Hitch, er taucht hier in der Eröffnungsszene auf.
Die erste Szene
Der Film beginnt mit einem Shot auf die Showgirls, die ein spiralförmiges Treppenhaus hinunterlaufen. Daniel bezweifelt aber, dass der berühmte Shot aus Vertigo, wie manchmal behauptet, tatsächlich eine Referenz an diesen Shot ist. Schon allein dadurch, dass wir die Treppe hier noch von der Seite und nicht von oben sehen. Es folgt ein High-Angle-Shot von den tanzenden Frauen und dann ein Kameraschwenk über das Publikum, das aus lüsternen Männern besteht, was definitiv den Voyeurismus vorausdeutet, der ja ein wiederkehrendes Motiv bei Hitchcock ist.
Deutscher Expressionismus
„At this point, Hitchcock does offer us a shot worth mentioning. As Patsy is seen waving goodbye to Levett, another woman’s hand waving hello to Levett overlaps hers. Right then you know he’s a pile of cheating scum, even if you didn’t already, and Hitchcock is able to convey this in a wonderfully simple way. With this scene transition, you know all you need to know about Levett and he’s not even in it!“
Dem Film wurde nachgesagt, dass er stark vom deutschen Expressionismus beeinflusst sei. Abgesehen von dem einen erwähnten High-Angle-Shot und einem weiteren, in dem Hitchcock die winkende Hand von Levetts in jene seiner Geliebten überblendet, findet Daniel die Kameraarbeit aber weitgehend konventionell, ganz anders als beim Expressionismus. Paula weist aber zurecht darauf hin, dass das Finale und insbesondere die Geistererscheinung durchaus expressionistisch anmuten.
Kritikpunkte an der Inszenierung
Paula kritisiert, dass die Handlung untypisch für Hitchcock sehr vorhersehbar war. Mit der Einführung der jeweiligen Protagonistinnen und Protagonisten ist sofort ihre Rolle klar. Daniel ergänzt, dass Hitch einmal sogar mit „show, don’t tell“ bricht: Der Hund mag Hugh, Levett hingegen nicht. Die Bild sprechen eigentlich für sich, der Trope „Freund der Tiere“ ist etabliert. Aber Hitchcock lässt zusätzlich noch einmal eine Texttafel einfügen, die dem Zuschauer das Verhalten des Tieres erklärt. Dem spätere Großmeister Hitchcock, der sich stets fürs filmische Erzählen, also die erzählende Kamera eingesetzt hat und der dialogische Filme verachtete, wäre dies nicht passiert.
Die Rezeption von The Pleasure Garden
Der Film wird heute nur noch als Kuriosität geschätzt: Es war eben der erste Film von Hitch. Und auch früher war er keine große Nummer, sondern hatte von Beginn an einen schweren Stand: Der Haupt-Finanzier C. M. Woolf verhinderte zunächst sogar die Aufführung in Britannien. Erst nachdem The Lodger ein großer Erfolg wurde, kam auch The Pleasure Garden in London in die Kinos.
The Lodger wird entsprechend auch of der erste wirkliche Hitchcock genannt:
„While The Lodger went on to become one of the director’s most popular and enduring early films, The Pleasure Garden hasn’t been accorded the same measure of respect, a factor one could attribute largely to its enormously un-Hitchcockian style, and to this day remains a fairly bland, unexceptional piece of cinema. Considering the 12 months or so between releasing The Pleasure Garden and The Lodger, it’s hard to fathom how much more accomplished The Lodger actually is by comparison, inasmuch as it’s a film with so much more technical skill and visual prowess, a prowess that is largely absent in Garden’s melodramatic overtones.“
Die Restaurierung des Films
Im Zuge der Olympischen Spiele 2012 in London wurden die neun Stummfilme von Hitch vom British Film Institute restauriert. Ähnlich wie bei Nosferatu wurden dafür fünf internationale Kopien zusammengetragen und so verlorene Szenen wieder eingefügt. Insgesamt wurden 20 Minuten hinzugefügt, sodass der Film nun eine Gesamtlänge von etwas mehr als 5000 Meter hat. Auch die Viragierung wurde restauriert, die im Internet frei verfügbare Version ist nur schwarz-weiß. Zudem wurde ein neuer Score von Daniel Patrick Cohen komponiert. Allerdings ist die Restauration bislang nur in Kinos zu sehen, das BFI hat noch keine Version auf DVD oder Blueray herausgebracht.
Preise und Bestenlisten
2013 wurde The Pleasure Garden zusammen mit Hitchs anderen Stummfilmen ins UNESCO UK Memory of the World Register aufgenommen.
Zitate & Referenzen
Der Film Showgirls (1995) hat den Plott quasi den Plott kopiert.
Lesenswert, Hörenswert & Sehenswert
- Die Folge der Wiederaufführung zu The Lodger
- Viele Hintergrundinfos auf Weekly Hitch
- Liste aller Stummfilme an denen Hitchcock mitgearbeitet hat
- Kritik bei Silent London
- Hitchmania: The Path to The Pleasure Garden
- Hier könnt ihr den Film legal und umsonst anschauen
- Kritik bei thee rows back
- Kritik bei Film Grimoire
Weitere Shownotes folgen …
*Affiliate-Link: Wenn ihr den Film kauft, bekommen wir eine winzige Provision und freuen uns.
Klingt ja, als könne man sich den Film aus filmhistorischen Gründen mal ansehen – ich glaube aber dass ich erstmal noch eine ganze Menge Hitchcock nachholen werde, von denen ich mir einiges (mehr als hier) verspreche.
Die Anekdoten mit der Brieftasche und den Filmrollen sind übriegens Gold wert. Jugendlicher Leichtsinn beim Master of Suspense 😀
Bei über 60 Filmen würde ich tatsächlich eher einen anderen empfehlen, vielleicht schon The Lodger, den ersten echten Hitch …
Ich denke ich hole erstmal noch einiges aus den 40ern und vor allem 50ern auf. Die späten kenne ich fast alle (zumindest die Kinofilme, er hat ja auch endlos viele TV-Filme gedreht), aber davor hab ich mehr Lücken als alles andere!